Die kleine Brentano, wie die junge Bettina von Arnim in biografischen Werken gern genannt wird, hatte miese „Kopfnoten“. Undiszipliniert, unangepasst, extravagant mit dem Hang zur Übertreibung: So beschrieb man das Kind, das die romantische Schriftstellerin auf ihre spezielle Art ewig bleiben sollte. Ein Spaziergang über die Bettinastraße auf der Suche nach dem Bettinischen.
O, schwere Aufgabe, eine so komplexe Persönlichkeit auf einer so kurzen Straße unterzubringen! Denn wie es ihre „Noten“ verraten, hatte Bettina einen ganz eigenen Kopf. Und mit Dresden herzlich wenig zu tun. Im Jahr 1904 wurde das kurze Sträßchen zwischen Angelika– und Klarastraße nach der Ehefrau Achims von Arnim und Schwester Clemens Brentanos benannt. 99 Jahre zuvor, im Jahr 1805, traf Catharina Elisabeth von Arnim, kurz Bettina, das erste Mal auf den Mann ihres Lebens, mit dem sie sich weder Bett noch Nachnamen teilen sollte.
Es war Johann Wofgang von Goethe, zu diesem Zeitpunkt verheiratet und schon betagt, den die stürmische Bettina zum Ziel all ihrer Wünsche und Sehnsüchte auserkor. Sie eroberte sich den Dunstkreis des Universalgenies, erbettelte sich Privilegien, war Seelenschwester seiner Mutter und beleidigte seine Frau Christiane als „tollwütige Blutwurst“ – in Weimar schnell ein geflügeltes Wort, das weniger Bettina als mehr Christiane zur Schande verhalf.
Die feurige Erwiderung ihrer Gefühle durch Goethe blieb aus. Zumindest lassen das seine spärlichen Antwortbriefe und Äußerungen Bettina betreffend vermuten.
Fehler, Gruppe existiert nicht! Überprüfen Sie Ihre Syntax! (ID: 19)Golden liegt der Herbst über der Bettinastraße. Und nichts könnte sehnsüchtig-melancholischer sein als die Gewissheit, dass es sich um einen letzten der warmen Tage des Jahres handelt. Im Gras an der Elbe hängt silbernes Haar, die Vögel sammeln sich in schreienden Schwärmen und dieses seltsame Heimweh nach Sommer schleicht sich durch die Ritzen der Übergangsjacke.
Da lebt ein romantisches Mädchen mit großem Willen und wildem Herz und ergänzt in die Briefe ihres Angebeteten Passagen, um die eigene Wahrheit zu belegen. Um die eigene Existenz zu gründen, einen Fixstern sich zu eigen zu machen – und die Banalität der Realität zu widerlegen.Ein Aufbäumen, so wie das helle Bunt der Bäume gegen den grauweißen Winter.
Wie gut, dass es die Bettinastraße gibt! Sonst wäre ich Bettina von Arnim nur als Lexikoneintrag und auf dem 5-DM-Schein begegnet. Gern verschwinden ihre Verdienste hinter dem Mann und dem Bruder. Erst nach dem Tod Achim von Arnims, mit dem Bettina eine 20jährige, über lange Strecken briefverbundene Ehe führte, wurde das politische Engagement seiner Frau bekannt.
Bettina wird als Mitanstifterin der Weberaufstände vermutet. Sie setzte sich für die Gleichberechtigung von Juden und Frauen ein, pflegte Cholerakranke in Berlin. Dem preußischen König Friedrich Wilhelm IV. pfefferte sie ein skandalträchtiges Buch um die Ohren – die ihren stets in Richtung des inneren „Dämon“ gespitzt.
Und plötzlich erscheinen ihre miesen Kopfnoten – undispliziniert, unangepasst, extravagant mit dem Hang zur Übertreibung – als höchst modernes Modell politisch-sozialer Rebellion.
Die Bettinastraße liegt schmuck und stille. An Ästen schaukeln Blätter, von Schaukeln blättert Farbe. Der Wind schleift den Himmel azurblau. Doch! Da steht ganz unvorschriftsmäßig ein Bote der Nacht auf dem Stromkasten und zeugt von einem Weg-Trinker. Was ihm sein Dämon wohl flüsterte?
Bettinastraße
- Die Straße auf dem Stadtplan von dresden.de
Schöne Bilder, bekomme Lust mir die Straße anzusehen und ein noch schönerer Beitrag, ganz toll geschrieben, danke
„An Ästen schaukeln Blätter, von Schaukeln blättert Farbe.“
Allein dieser Satz – ein Genuss. :-)
Die Neustadt müsste mehr Straßen haben, und diese Rubrik öfter zu lesen sein.
Weiter so.
Dies ist ein wahrlich „großer Wurf“.