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Frauen erobern die Politik und mucken auf

Zum Schrecken des gutbürgerlichen Ehrenmannes, ob Geschäftsinhaber oder Beamter, ob Lehrer oder Offizier, Bäckermeister oder Polizist nahm nach dem Krieg 1914/18 und mit der Inkraftsetzung der Weimarer Verfassung das Selbstbewusstsein der Frauen unglaublich zu, wie die Dresdner Nachrichten konstatierten.

Der lange Kampf der Suffragetten und Frauenrechtler trug nun Früchte. Ungeheuerliches ist demnach auch in Dresden passiert. Sitzen doch jetzt drei Frauen im städtischen Rat, nachdem nach der Kommunalwahl Anfang 1919 sogar zehn Frauen das Stadtverordnetenkollegium erobert haben!

Große Fragen bedurften der Klärung

Das brachte gewaltige Probleme mit sich. Zunächst ein Linguistisches. „Da macht manchem die Frage Kopfzerbrechen, wie die Damen des Rates betitelt werden sollen. Denn da man bisher jede Gattin eines Stadtrates mit ‚Frau Stadtrat‘ anredete, so muss diese Sitte entweder geändert werden, da auf diesen Titel jetzt die weiblichen Ratsmitglieder begründeten Anspruch haben. Oder jene Ehefrauen müssen künftig einfach als ‚Frau Soundso‘ bezeichnet werden, was ihnen aber sicherlich nicht behagen dürfte.“ Es war schon ein Graus mit der Emanzipation, damals.

Wenn die gewusst hätten, was ein Jahrhundert später angesagt sein würde. Aber das Problem musste gelöst werden. Vielleicht könnte man, so die Zeitung, „die Amtsinhaberinnen als ‚Frau Stadträtin‘ anreden und der alte Titel ‚Frau Stadtrat‘ verbliebe bei den Gemahlinnen der männlichen Stadträte.

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Hoffentlich einigt man sich bald zur Zufriedenheit aller Beteiligten, damit nicht der Wurm in die Eintracht der Stadtväter und Stadtmütter kommt.“ Ein Problem wurde aber nicht besprochen: Welchen Titel durften die Ehemänner der weiblichen Ratsmitglieder tragen?

Die Schamlosigkeit der Emanzipierten

Dass Frauen in die Politik gehen, damit konnte sich der ehrbare konservative Bürger schweren Herzens durchringen. Der Zeitgeist forderte seinen Tribut. Aber dass sich Frauen am hellerlichten Tag in aller Öffentlichkeit schmählich an Ausländer ranmachten, ist eine Ungeheuerlichkeit höchsten Grades. Der brave Dresdner Bürger war empört.

„So wurden neulich am Bahnhof Neustadt und auf der Prager Straße deutsche Mädchen beobachtet, die sich an den Arm französischer Sergeanten gehängt hatten und mit ihnen schön taten, als ob es nicht 800.000 Deutsche gäbe, die entgegen allem Völkerrecht und aller Menschlichkeit noch immer in französischer (Kriegs)Gefangenschaft schmählich schmachten. Wie verächtlich müssen die Franzosen, die zu einer hier weilenden Kommission unserer Feinde gehören, auf unser Volk blicken, wenn sie sehen, dass Dresdner Mädchen sich ihnen so würdelos an den Hals werfen und selbst auf die tadelnden Bemerkungen entrüsteter Beobachter nur ein Lachen haben“, so schrieben seinerzeit die Dresdner Nachrichten.

Männer brauchen Hilfe

Sogar in den Familien wurden die bislang braven Gemahlinnen aufmüpfig. So wusste sich ein Ehemann keinen anderen Rat mehr, als sich hilfesuchend an die Öffentlichkeit zu wenden. „Meine Frau hat ohne mein Vorwissen einen Arzt aufgesucht, der sie, wie er mir schriftlich mitteilte, seit einiger Zeit behandelt. Auf Vorhalt, dass es unter Eheleuten Sitte und Brauch sei, derartige Schritte zu besprechen und nicht gleich ins Blaue hinein gehandelt wurde, erklärte mir meine Frau: ‚Die Zeiten sind vorüber! Wir Frauen sind jetzt mit den Männern gleichberechtigt und gleichgestellt und es hat uns niemand Vorschriften zu machen!‘“

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Das war jedoch nicht alles gewesen. So habe sein revolutionäres Weib kürzlich eine Erbschaft von einigen tausend Mark erhalten, die sie ihm verschwieg. Nachdem der Ehemann auf die Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuches diesbezüglich hinwies, meinte doch das aufsässige Weibsbild, dass diese Bestimmungen veraltet seien und „sie zur Verwaltung ihres Geldes keinen Vormund mehr benötige“.

Da war die Gnädigste wohl einige Jahrzehnte zu früh in guter Hoffnung, was die Rechtslage betraf. Revolution und Kaisersturz legten das Bürgerliche Gesetzbuch nicht ad acta. Der werte Gatte musste zwar die Arztrechnung bezahlen, aber der Zugriff auf die Erbschaft der Frau blieb ihm erhalten.

Bissig konstatierte der Redakteur der Dresdner Nachrichten: „Bei so hypermodernen Anschauungen über Gleichberechtigung und Pflichten in der Ehe, wie sie Ihre Frau vertritt, braucht man sich nicht zu wundern, wenn sich die Gerichte vor Ehescheidungsprozessen nicht mehr zu retten wissen.“

Aber der Redakteur hatte bei aller Niedergeschlagenheit auch einige tröstende Worte der Hoffnung an die werte Leserschaft, nämlich, … „dass unser Volk zu seinen alten Tugenden des Fleißes, der Beharrlichkeit und des Pflichtbewusstseins zurückkehren wird.“ Und die amerikanische New Yorker Staatszeitung setzte dem noch die Krone auf: „Wenn Frauen den Mund halten könnten, wieviel Unglück und Trubel wäre den Familien erspart.“

Unter der Rubrik „Vor 100 Jahren“ veröffentlichen wir in loser Reihenfolge Anekdoten aus dem Leben, Handeln und Denken von Uroma und Uropa. Dafür hat der Dresdner Schriftsteller und Journalist Heinz Kulb die Zeitungsarchive in der Sächsischen Landes- und Universtätsbibliothek durchstöbert.