Stellt man sich die Heterosexualität als Monokultur vor, tritt der Gerede e.V. seit 1995 für eine bunt gemischte Wildblumenwiese ein, auf der jedes Bienchen sein Blümchen finden und unbehelligt lieben darf. Aus Anlass des Internationalen Tages gegen Homo-, Trans* und Inter*feindlichkeit (IDAHIT) am 17. Mai findet nun eine Aktionswoche mit Filmen, Ausstellungen, Vorträgen und Party statt. Hintergrund ist, dass am 17. Mai 1990 von der Weltgesundheitsorganisation beschlossen wurde, Homosexualität aus ihrem Diagnoseschlüssel zu streichen. Kurz gesagt: Homosexuelle galten offiziell nicht mehr als „krank.“ Eine Entstigmatisierung, die transsexuellen Menschen noch nicht vergönnt ist. Die Reise in die Arbeit des Gerede e.V. öffnet die Augen für die sensible Vielfalt des „Abnormalen.“
Wer sich die Frage stellt, was eigentlich eine „normale Sexualität“ ausmacht, kommt schnell an den Punkt, dass das „Normale“ ein einengendes, inhumanes Konstrukt darstellt. Die Etikettierung und Verurteilung des „Abnormalen“ ist gleichzeitig die Beschneidung des „Normalen.“ Heteronormativität ist der Name für die Weltanschauung, die Heterosexualität als geltende Norm und Abweichungen davon als „unnormal“ bis „krank“ kategorisiert.
Der Gerede e.V. setzt sich mit seinen zahlreichen städtischen und kommunalen Angeboten dafür ein, diese Corsage zu sprengen und aufmerksam auf das Spektrum sexueller Spielarten zu machen. Dazu gehört viel Energie – und sehr viele Unter_striche, Binnen-I’s und *Sternchen.
Vergangenes Jahr, erzählen Carolin Wiegand und Isabell Häger, habe man zum IDAHIT eine Luftballonaktion auf der Prager Straße gestartet. Aber eigentlich, so sei man überein gekommen, ist das Umweltverschmutzung. Dieses Jahr führt ein Demozug aus der Altstadt bis zum Kukulida e.V., um die Aufmerksamkeit auf die Bedeutung des 17. Mai zu lenken.
Die Reaktionen der Menschen in der Innenstadt entspreche den Umfrageergebnissen des Sachsen-Monitors. „Ein Drittel der Befragten hatte angegeben, es als widernatürlich zu empfinden, wenn zwei Männer sich auf offener Straße küssen“, sagt Carolin. Die Palette reiche von Zuspruch bis Abwehr. Ein großer Schritt, für den der Gerede e.V. sich einsetzt, wäre die Verankerung der Rechte nicht-heterosexueller Menschen im Grundgesetz. Paragraf 3 würde demnach um die Klausel „Niemand darf wegen seiner sexuellen Identität und Orientierung benachteiligt oder bevorzugt werden“ erweitert.
Aufklärung ist wichtig
„Die wichtigste Arbeit ist Aufklärung“, sagt Carolin. Woher soll ein Mensch wissen, wer er ist, wenn er nur einen kleinen Ausschnitt aus dem Spektrum seiner Möglichkeiten kennt? Jeder Mensch hat ein Geschlecht: Nämlich das ganz eigene, individuelle. Erst eine Auseinandersetzung mit Menschen in all ihrer Anders-Artigkeit ermöglicht den Abbau von Ängsten und Vorurteilen.
Der Gerede e.V. leistet das beispielsweise bei Schulaufklärungsprojekten. Auch an die Ärzteschaft, Politik und Behörden richtet sich das Angebot. „Viele Anfragen erreichen uns, wenn beispielsweise die kleine Maria das Gefühl hat, eher ein Max zu sein“, sagt Isabell Häger. Erforderlich ist an diesem Punkt eine einfühlsame und kompetente Begleitung der Beteiligten.
Sexualität ist, aller medialen Präsenz zum Trotz, viel zu häufig noch ein Tabu-Thema. Noch komplizierter wird es, wenn es nicht „nur“ um Probleme zwischen Männchen und Weibchen geht, sondern eine abweichende Sexualität zu Kollisionen mit gesellschaftlichen Normen und damit zu Identitätskrisen und Benachteiligungen führt.
Dafür ist der Verein telefonisch, via Mail und persönlich eine wichtige Anlaufstelle und kooperiert mit Trägern innerhalb Dresdens und Sachsens. „Unsere Klienten kommen aus ganz Sachsen“, erklärt Isabell. In so manch sächsischer Kleinstadt, sagt Carolin, herrsche die Ansicht: „Sowas gibt es bei uns nicht!“ Dementsprechend rar gesät sind die Beratungsstellen. Das mobile Angebot des Gerede e.V. kommt Klienten aus Zittau, Kamenz und Co. buchstäblich entgegen.
Neun MitarbeiterInnen und unzählige Ehrenamtliche stemmen den Verein. „Letztere suchen wir natürlich immer“, sagt Carolin. Derzeit ist der Gerede e.V. dank des Landesaktionsplans von Petra Köpping finanziell gut aufgestellt. Eine Änderung der Mehrheiten bei der bevorstehenden Landtagswahl könne existenzgefährdend werden, sagt Carolin. Es gilt, sich weiterhin Gehör zu verschaffen und die Notwendigkeit der eigenen Arbeit aufzuzeigen.
Aktionswoche des Gerede e.V.
- Zum ausführlichen Programm geht es hier entlang
- 14. bis 18.5. – Plakative Gewalt*en – Interaktive Plakatausstellung
14.5. Defining Gender – Geschlechtliche Vielfalt in Lateinamerika
15.5. Lsbt(hiaq*) – Diversity für Anfänger*innen und Fortgeschrittene*
16.5. Trans* und Inter* – Solidarität muss praktisch werden
17.5. Leben ohne Angst – Kundgebung und Demo zum Idahit
17.5. Afterwork – Vielfalt feiern – Lounge & Chill-Out
18.5. FtWTF – Dokumentarfilm
Alle Veranstaltungen sind kostenfrei.
Ich finde den bildhaften Vergleich mit den Bienchen und Blümchen spannend(!), da die Wildblümchen keine Möglichkeit haben sich dagegen zu wehren, von einem Wild- oder Honigbienchen unbehelligt geliebt zu werden.
Innerhalb dieses Szenarios stelle ich mir auch vor, wie ein monogames Bienchen jedes Jahr immer nur das selbe Blümchen liebt und die Bestäubungsrate und der Ertrag der Imker dabei rapide abnimmt. Liegt dann diesem Vergleich auch eine unterschwellige Forderung nach freier Liebe und dem stetigen Wechsel des Partners zu Grunde?
Hi Paligro! Na ja, die Blumen blühen ja, um die Bienen anzulocken. Ohne Blüte keine Biene, ohne Biene keine Blüte. In einer Monokultur können sich die Blüten auch nicht „wehren“. Ich zog den Vergleich eher als Hinweis auf die gefährdete Vielfalt hin. Siehe Titel und Inhalt.
Bienen sind übrigens von Natur aus blütentreu. Auf einer Wildblumenwiese gibt es im Gegensatz zur Monokultur eine größere Auswahl und damit ein vielfältigeres Ökosystem. Wenn du dich dafür interessierst, schau doch mal den Film „More than honey“. Der verdeutlicht ganz gut, dass für Bienen nicht Wildblumen und für Wildblumen nicht Bienen, sondern versprühtes Gift die größte Gefahr bedeutet.
Eine Forderung ist vielleicht insofern enthalten, als dass Menschen, die nach dem Prinzip der freien Liebe (die ich hier mal als Polyamorie definieren würde) leben möchten, in einer demokratischen Gesellschaft das Recht darauf haben sollten, dies zu tun, ohne dafür diskriminiert zu werden. Wenn du dich für Polyamorie interessierst, schau doch mal hier.
Hallo Philine,
vielen Dank für deine lieben Worte. Lehrreich finde ich den Hinweis auf die Blütentreue, auch wenn ich mich innerhalb des Gedankenspiels eigentlich auf die Blümchentreue bezogen habe.
Für Polyamorie interessiere ich mich nicht, trotzdem vielen Dank auch für diesen Hinweis. Den Film über Bienengift werde ich mir anschauen.
Hallo paligro,
die Bienen, die Blumen lieben (müssen), dürfen ja gar keinen Sex haben.
Also auch nicht mit den bunten Blumen auf der Regenbogenwiese im Schlaraffenland. Diesen Bienen bleibt entweder die Flucht oder die Homosexualität. Denn die Blumenbienen sind alle weiblich. Das ist irgendwie jetzt auch nicht bunt.
Viel interessanter wird der Ansatz der Kunstschaffenden, wenn man Bienen betrachtet, die eine Vorliebe für schwarze Wildblumen haben, die die Natur bisher ja nicht erfüllt. Man könnte im Frühling den Löwenzahn einfach schwarz anmalen: Vorsicht, nicht mit Nagellack!
Sicher gibt es dafür auch Fördergelder von Bund, Land und den Stiftungen.