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Tücken einer Zugreise

Unter großem Ächzen bugsierte Barbiermeister Friedrich Weise einen großen hölzernen Koffer durch die Haustür der Bautzener Straße 51. Ihm folgten, laut streitend, der 12-jährige Wilhelm und die 10-jährige Elfriede. Den Abschluss bildete die Frau Mama, Friedel Weise, Inhaberin eines Maskengarderobenverleihgeschäftes mit dem fünfjährigen Paul an der Hand. Ihr Gepäck bestand aus einer Handtasche und einen Korb mit der Reiseverpflegung.

Der gerade frisch umgebaute Bahnhof Neustadt Anfang des 20. Jahrhunderts
Der gerade frisch umgebaute Bahnhof Neustadt Anfang des 20. Jahrhunderts.

Der große Sohn erhielt einen Klaps auf den Hinterkopf mit der strengen Ermahnung, seine kleine Schwester nicht zu ärgern und der Aufforderung, sich ordentlich zu benehmen, wegen der Leute und so. Elfriede freute sich und Wilhelm maulte rum. Es sei die Kleine gewesen, die ihn ärgerte. Und es wäre doch so ungerecht, dass er immer alles einstecken müsse und schleuderte drohende Blicke in Richtung Elfriede.

In der Art einer Karawane bewegte sich Familie Weise zur Straßenbahnhaltestelle mit dem Ziel Bahnhof Neustadt. Völlig verschwitzt, der Juli 1913 hatte es wärmetechnisch in sich, kam Vater Friedrich mit seiner Sippschaft am Bahnhof an. Doch die Tortur war noch nicht vorbei. Mehrere Etappen galt es nun zu absolvieren. Fahrkarten kaufen, den schweren Koffer die Treppen hinauf auf den Bahnsteig wuchten, rein in den Zug und Plätze finden.

Das Ziel dieser Reise war der Bauernhof von Friedels Schwester in der Nähe von Doberlug. Dort verbrachte die Familie jeden Sommer in den Schulferien einige Tage.

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Platz finden im Zug – der Horror

Ein nicht ganz leichtes Unterfangen. Friedrich Weise beschwerte sich später darüber bei der Königlich Sächsischen Staatseisenbahn. In den Dresdner Nachrichten las man dazu: „Zunächst standen nur drei Abteile nach meinem Reiseziel zur Verfügung, dann kam noch ein anderer Wagen dazu. In dem einen Raucherabteil lagen zwei Damen lang ausgestreckt und eine große Bulldogge (nicht etwa ein kleiner Hund, der auf dem Schoße gehalten werden kann), fletschte uns die Zähne entgegen, so dass man gar nicht wagte, die Abteiltür aufzumachen und nach freien Plätzen zu fragen. Im folgenden Frauenabteil (was es damals schon gab) lagen die Damen ebenfalls ausgestreckt. Aber trotz der wenig freundlichen Blicke, habe ich Frau und Tochter hier untergebracht.“

Dresdner Nachrichten von 1913
Dresdner Nachrichten von 1913

Weiter ging es mit Wilhelm, Paul und dem Holzkoffer. Inzwischen fuhr der Zug los. „Im nächsten Abteil brachte ich die beiden Knaben unter. Der Große musste dabei den Rucksack auf dem Rücken belassen, denn jedes Plätzchen war mit Gepäck verrammelt“, schrieb Friedrich später wütend. Völlig fertig ließ er sich mit dem Koffer auf dem Gang nieder. Doch auch dort fand er keinen Ort zum sitzen, denn der Freiraum vor den Einsteigetüren war bereits mit fünf großen Koffern blockiert.

Ende der Odyssee – Erholung nicht in Sicht

Er ging weiter auf Platzsuche, um möglichst nahe bei seiner Familie zu sein, wie es in der Zeitung hieß. In einem Abteil sah er drei freie Plätze. „Auf meine bescheidene Anfrage donnerte mir ein kräftiges ‚Alles besetzt‘ entgegen.“ Mit Hilfe des Schaffners fand er schließlich im folgenden Abteil einen Platz und wuchtete mit viel Mühe den Holzkoffer in die Gepäckablage.

Historischer Reisekoffer
Historischer Reisekoffer – Foto: Michael Kammerer (Rob Gyp), Reisekoffer Vulkanfiber, CC BY-SA 4.0

Zum Glück verteilte dann Mutter Friedel Butterbrote und Tee an die nach Labsal lechzenden Familienmitglieder und tröstete alle mit der freudigen Aussicht auf Entspannung und den Spielmöglichkeiten auf dem Bauernhof von Schwager und Schwester bei Doberlug. Nur Friedrich Weise grauste es vor den vom Schwager erwarteten Hilfeleistungen beim Stallausmisten. „Vom Rumsitzen füllen sich nicht Scheune und Kammer“, so dessen Devise. Schließlich wollten sie Geschlachtetes und Würste mit nach Dresden nehmen. Er sei schließlich nicht Krösus. Als Gegenleistung „durfte“ Friedrich Weise allen auf dem Hof Lebenden, (Kühe, Schweine, Hühner, Hunde und Katzen ausgenommen), die Haare schneiden. Und wie jedes Jahr sehnte er sich zurück in seinen Friseurladen. Dort könne er sich wirklich erholen.

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Unter der Rubrik „Vor 100 Jahren“ veröffentlichen wir in loser Reihenfolge Anekdoten aus dem Leben, Handeln und Denken von Uroma und Uropa. Dafür hat der Dresdner Schriftsteller und Journalist Heinz Kulb die Zeitungsarchive in der Sächsischen Landes- und Universitätsbibliothek durchstöbert.