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Die Großenhainer Straße

Wer die Großenhainer Straße entlangläuft, sieht Klinkersteine, große Gebäudekomplexe und Fabrikhallen. Ein wenig trist und nicht sehr abwechslungsreich wirkt es und man fragt sich zunächst, ob das alles ist, was die laut Wikipedia „wichtige Straße durch den Nordwesten Dresdens“ so zu bieten hat.

Große Gebäudekomplexe dominieren das Bild in der Großenhainer Straße, Foto: I. Knippel

Die Großenhainer entspringt aus der Hansastraße und fließt am gleichnamigen Platz in das verruchte Pieschen, bis sie am „Wilden Mann“ zur Landstraße wird. Folgt man der Straße vom Neustädter Bahnhof, so fällt der Blick als erstes auf das ehemalige Porsche-Zentrum auf der linken Seite (Baustelle), aus dem ein Hotelkomplex entstehen soll, und dann auf ein neues riesiges Bürogebäude (auch Baustelle). Neben dem vorübergehenden Lärm bringen beide ein Stück weit langweilige Ordentlichkeit, Seelenlosigkeit und Gentrifizierung in die Neustadt.

Ein Haus weiter steht ein hellviolettes Gebäude, in dem diese Spießigkeit wohl noch nicht angekommen ist. „Weg mit den Yuppies!“, findet jedenfalls Nils*, der sich von der zielstrebigen Geschäftigkeit der Nachbarn anscheinend noch nicht hat beeindrucken lassen. Der Student lebt in der Großenhainer Straße 9, oder auch GH9, „how the cool people say“.

Bunt zusammengewürfelte WGs

Hauptsächlich Studierende leben hier, rund 300 Leute teilen sich einen Innenhof mit sieben Hauseingängen, wohnen mal zu zweit oder zu viert, aber auch in Siebener-WGs. Das Gebäude war früher mal Fabrikgelände und wurde dann zu einem Wohnkomplex umgebaut.

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Am Eingang fallen vor allem die vielen Briefkästen auf, jeder einzelne mit einer Wegbeschreibung, um der Post ihre Zulieferung in die verwinkelten Wohnungen doch noch ein wenig zu erleichtern. Die Postbotin wirkt jedoch mehr routiniert als überfordert – auf die Frage, ob man ihr helfen könne, kommt nur ein kurzes „Nö“ als Antwort.

Der Hinterhof mit Mülltonnen, Fahrrädern und einem Einkaufswagen ist zunächst auch nicht sehr einladend. Wirft man einen Blick nach oben, sieht man jedoch Balkons mit Bastverkleidung, Lampionlichtern und Vogelnestern, Lichterketten oder bunte Teppiche an den Fenstern. Sie zeigen, dass es Leben gibt in dieser Straße, machen neugierig auf die Geschichten hinter diesen Wohngemeinschaften.

Die verwaisten, aber bunt gestalteten Balkone im Innenhof der GH9, Foto: I. Knippel

Timur* steht gerade an seinem Fahrrad, um es aufzuschließen. Als er vor ungefähr einem Jahr einzog, war das sein erstes Mal in Dresden. Seine WG kannte er nur vom Casting, sein Zimmer nur aus Bildern – trotzdem fand er sich am Abend auf einer Party mit 20 Personen in einer der angrenzenden Wohnungen wieder. „So läuft das hier: Von irgendwo kommen die Bässe und dann schauen die Leute, was da gerade so geht“, bestätigt auch Nils.

Festivalmukke oder Filme im Freien

Hier erzählt man sich, dass das Partykollektiv „Palais Palett“, das den bekannten Club Objekt Klein A (auch OKA genannt) in der Meschwitzstraße mit aufgebaut hat, in der GH9 seine Anfänge fand: Damals war das Areal noch eine leerstehende Fabrik, im Keller drehte sich eine Diskokugel und ein Löwenkopf an der Wand begrüßte die Besucher*innen. Zu den Feten gelangte man, indem man sich zwischen Absperrung durchwand. Improvisiert, aber authentisch.

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„Noch heute liegen da bestimmt die Preislisten“, meint Merry. Die 24-Jährige wohnt seit ungefähr vier Jahren in der GH9. Die Partys der „Palettis“ hat sie nicht mehr mitbekommen, aber vor ein paar Jahren veranstaltete sie selbst mit ein paar anderen WGs eine Art Mini-Festival in dem Gelände hinter dem Gebäude, zu der über 600 Leute kamen. „Das war ein dickes Ding“, erzählt Merry.

Sie bauten Europaletten auf, brauchten Wochen für die Vorbereitung. Die „Großenhainer Nacht“, wie sie die Veranstaltung nannten, hatte ein eigenes Lineup, Eintritt gegen Spende. Wer gezahlt hatte, bekam eine Markierung mit pinkem Nagellack auf den Finger. Sie feierten von 15 Uhr bis 3 Uhr morgens, dann löste die Polizei die Veranstaltung auf. Doch die Europaletten standen noch da und die Idee war geboren, den Platz hinter dem Gelände zu nutzen. Heute steht dort allerdings ein Parkplatz; ein Zaun kam hinzu, nachdem ein Mädchen im vergangenen Jahr an den angrenzenden Bahngleisen starb. Trotzdem kann sich Merry eine Fortsetzung des Mini-Festivals vorstellen, denn „nach Corona haben wir hier einiges nachzuholen“.

Im Sommer gab es statt größerer Feten Heimkino vom Balkon aus and die Hauswand. Gerade aber ist es tatsächlich einmal ruhig, Corona hemmt die Bässe und die spontanen Feten, die WGs bleiben unter sich.

Übriggeblieben vom Festivalfeeling ist eine kleine Ecke mit Europaletten …und ein Zaun neben einem Parkplatz (nicht im Bild), Foto: I. Knippel

Erst Chemiefabrik, dann zur Beichte in die St. Petri-Kirche

Direkt gegenüber steht macht sich ein riesiger Block der Hansasiedlung breit, die mit ursprünglich 570 Wohnungen und 62 Einzelhäusern mal zu den größten Wohnanlagen Dresdens zählte. Dem roten Klinkerstein und der grünen Farbe im Stil des Backsteinexpressionismus sei es gedankt, der Gebäudekomplex steht unter Denkmalschutz.

Ein Stück weiter fährt ein mutmaßlicher Familienvater sein Kind auf einem Anhänger durchs Viertel. Folgt man ihm, so kommt man zur St.-Petri-Kirche, aber dann ist man schon in Pieschen. Also schnell abgebogen in die Petrikirchstraße. Dort schon fast wieder an der Hansastraße schlummert die Chemiefabrik. Hier steht alles still. Die besprühten Wände erinnern an vergangene, durchfeierte Nächte und wecken nostalgische Gefühle. Wie eingefroren wirkt alles, der Reif auf den Fenstern hat sich noch nicht in Tau verwandelt.

Blick auf die St Petri-Kirche vom mit Graffiti betaggten Spielplatz

Zurück zur Großenhainer: Ein paar Studierende kratzen den Schnee von den Autodächern und liefern sich eine Schneeballschlacht. Ihr Lachen hallt die Straße entlang. Wer weiterläuft, ist schon bald mitten in Pieschen oder genauer in Trachenberge. Doch den Teil der Straße müssen andere unter die Lupe nehmen.

*Name von der Redaktion geändert

10 Kommentare

  1. nett, aber ganz schön viel werbung für einen club, der nach zwei jahren fast pleite ist und kaum noch besucher lockte, wenn das „berühmt“ sein soll…
    die großenhainer hat & hatte viel mehr untergrund zu bieten als ein paar abgehobene kunststudenten :D

  2. Im Keller hatten wir früher mal das „Lion’s Den“, daher auch der Löwe an der Wand… ;)
    Unser Regular war „Reggae in der Löwengrube“ was wir 2013 und 2014 laufen hatten… zum Abschluss stand sogar ein fettes Soundsystem drin…
    Ach ja, schöne Zeiten, schade dass es kaum mehr Räume für diese Art Kultur in Dresden gibt… :(

  3. Hey, schöner Artikel und schöne „Zustandsbeschreibung“ der Großenhainer Straße. Geh`weiter und (be)schreibe Deine Eindrücke bis zum Wilden Mann. Supi gemacht!!

  4. Ach ja, die guten alten Zeiten. Der Artikel lädt ein, sich zu erinnern und vielleicht auch ein paar Inspirationen für zukünftige subkulturelle Projekte zu erhalten. Ein Hoch auf die Großenhainer!!

  5. Krümelkack: Porsche war/ ist links vom Neustädter kommend.
    Früher hätte man jetzt „Frauen-rechts“ gesagt, aber das ist bestimmt abgeschafft… ;)
    *Duckundweg*

  6. Ich denke ja eher, dass es daran liegt, das Porsches das Zündschloss auf der linken Seite haben, wie einst beim Wartburg. Ansonten vielen Dank für den „freundlichen“ Hinweis, ich habs korrigiert.

  7. Ein interessanter Artikel, aber der Bereich der Straße aus dem Bericht liegt in der Leipziger Vorstadt. Die Äußere Neustadt ist ein ganzes Stück davon entfernt.
    Wie es zu einer „Gentrifizierung“ an einer Stelle kommen kann, wo vorher Brache und noch weiter vorher eine alte Fabrik stand, erschließt sich mir aus dem Bericht nicht. Auch von Seelenlosigkeit kann in dem Viertel, wo hunderte preisgünstige Wohnungen stehen, die weder luxussaniert noch an Fonds verscherbelt worden sind, keine Rede sein. Vielleicht sollte die Verfasserin auch mal daran denken, dass nicht jeder Single oder jede Familie es schick findet in irgendwelchen abgewirtschafteten Buden zu wohnen, die vielleicht billig und hipp sind, aber dafür nur geringen Wohnkomfort bieten.

  8. Schade, dass ein Artikel mit der Überschrift „Großenhainer Straße“ schon nach einem Bruchteil derselben endet und der Schreiber vor der Straße scheinbar kapituliert.

Kommentare sind geschlossen.