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Sodom und Gomorra

Die sittenstrengen, braven Bürger Dresdens schlugen die Hände über ihre Köpfe zusammen. „Die meisten Dinge, die man heute sieht, sind so beschaffen, daß man, nachdem man hingesehen hat, am liebsten gleich wieder wegsehen möchte, so daß die Tugendhaften unsere Augen eigentlich weniger zum Sehen, als vielmehr zum Wegsehen brauchen müssen.“

Diesen moralischen Hilferuf erhörten wir nicht im Herbst 2020, sondern im Jahr 1897, als eigentlich noch Zucht und Ordnung das Dasein der Bürger in Sachsens Königreich bestimmten. Eigentlich. Die Dresdner Montagspost „belehrt“ uns eines Anderen.

Dresdner Montagspost von 1897.
Dresdner Montagspost von 1897.

Sittliche Verrohung

Ein Hort des moralischen Verfalls wurde in den modernen Kunstausstellungen ausgemacht. „Nichts als Nuditäten! Nackte Bäume, nackte Felsen, nackte Menschen.“ Man kann die zorneswütigen Gesichter der Herren Redakteure und der bürgerlichen Doppelmoralisten erahnen. Verteufelt wurde der aktuelle Naturalismus in der Kunst des ausgehenden 19. Jahrhunderts, bei dem man „sich denn eben nur auf die Wiedergabe der nackten Tatsachen beschränkt, ohne zu bedenken, daß erst durch die Feigenblätter Geist in die Sache gekommen ist.“

Hier stehen die zum Ende des 19. Jahrhunderts sich in den Künsten bahnenden provokanten Erregungsabsichten den verklemmten literarischen und bildnerischen Chiffrierungs- und Symbolisierungsabsichten gegenüber. In den aufkommenden neuen Künstlerkreisen der Moderne wurden im burlesken Reigen der Geschlechter jegliche zivilisatorischen Hüllen und Schranken fallengelassen, so Isabel Fraas (Dissertation „Über die Inszenierung von Nacktheit in der deutschen Literatur um 1900“ an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg 2009). Da folgte dann hierzulande hilflos der Ruf nach der Ordnungsmacht: „Daß unsere Polizei so etwas überhaupt duldet, daß begreift man einfach nicht.“

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Ein weiterer Ort des Niedergangs wurde im Großen Garten ausgemacht. Diesen könne man nur noch in der kalten Jahreszeit besuchen, so die Zeitung, „wenn die nackten Heidengötzen anständigerweise ihre bretternen Winterüberzieher angelegt haben.“

Genesung im Rosengarten
An der nackten „Genesung“ im Rosengarten hätten die Zeitgenossen der Jahrundertwende sicher auch zu mäkeln, aber die Dame wurde erst einige Jahrzehnte später aufgestellt.

Der nächste Hort des Teufels waren die Elbebäder am Neustädter Ufer. „Diese nackten Freischwimmereien schreien ohnehin zum Himmel.“ Resignierend wird kundgetan: „Aber man kann ja wenigstens solche Gegenden meiden, wenn man dem Teufel der Sittenlosigkeit aus dem Wege gehen will.“

Moralischer Verfall

Was aber dem Zeitungsredakteur am meisten empörte, weil man dem kaum aus dem Wege gehen könne, seien „die Nuditäten, die sich frech auf öffentlicher Straße zeigen dürfen.“ Und dann ließ er die Katze mit lautem Aufschrei aus dem Sack. „Das sind die ärmellosen Kleider der Schulmädchen!“ und „In unserem sittenstrengen Dresden ist es möglich, daß unter den Augen der Polizei sogar nackte Beine frech herumlaufen dürfen.“ Nicht nur herumlaufen. Diese konnte man auch noch bei dem neumodischen Fahrradfahren der Mädchen und Damen sehen.

Die Jugend werde durch diesen Sittenverfall moralisch von Kindesbeinen an abgestumpft, so die Meinung der Dresdner Montagspost und fügte noch einen Beweis hinzu. „Werden denn nicht in unseren Spielwarenläden alljährlich Millionen von splitternackten ‚Badeengeln‘ und ‚Puppenbälgen‘ als Spielzeug für die Kleinen verkauft? Wird nicht durch derartige systematische Gewöhnung ans Nackte die mühsam anerzogene Kleidermoral von vornherein wieder in Frage gestellt und das unschuldige Gemüt der Jugend vergiftet?“

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Überall nur Sodom und Gomorra, so das Resümee der Dresdner Montagspost. Doch sie gab auch Hoffnung der arg gedemütigten Seele. „Zum Glück sind die ehrenwerten Männer noch nicht ausgestorben, die über solch schamloses Treiben in gerechte Empörung geraten und das Erröten noch nicht verlernt haben.“

Unter der Rubrik „Vor 100 Jahren“ veröffentlichen wir in loser Reihenfolge Anekdoten aus dem Leben, Handeln und Denken von Uroma und Uropa. Dafür hat der Dresdner Schriftsteller und Journalist Heinz Kulb die Zeitungsarchive in der Sächsischen Landes- und Universtätsbibliothek durchstöbert.

7 Kommentare

  1. Heute verdrehen die Moralisten die „nackte“ Realität…:

    Pseudo-Projekte erklären Ihre Nachbarn für Auto-frei,
    anderer Leute Eigentum wird mit erhobenem Zeigefinger besetzt, Sachbeschädigung wird zum Mittel der Wahl im Kampf gegen die industrialisierte Realität…

    Hätte der Autor einen Blick ins Jahr 2020 werfen können hätte er evtl. resigniert und nichts geschrieben…oder den nächsten Baum gesucht?

  2. Hallo Fragezeichen, so unterschiedlich sind Menschen. Die einen sehen die Alternative zwischen Resignation und dem „nächsten Baum“, andere schauen, wo sie im Kleinen etwas verändern können.

  3. @Spatz

    Ich finde es ganz gut wenn jeder in seinem Bereich was tut. Problematisch ist nur dass dabei viele denken anderen was „drüberhelfen“ zu müssen, weil sie die Moral für sich pachten.

    Besetze ich ein Haus, habe ich sicher nicht ausreichend recherchiert, wie die Rechtslage ist. „Eigentum verpflichtet“ wird ja trotzdem erfüllt, durch Abgabe der Grundsteuer…
    Mit Moral wird heute halt gerne begründet, warum man anderen reinpfuscht.

    Also besser handeln und das eigene verbessern….da braucht man nicht moralisieren..

  4. „Besetze ich ein Haus, habe ich sicher nicht ausreichend recherchiert, wie die Rechtslage ist.“ Also, ähhm, … nein! Meist ist das Gegenteil der Fall.
    „„Eigentum verpflichtet“ wird ja trotzdem erfüllt, durch Abgabe der Grundsteuer…“ Diese Aussage hast Du schon mal gebracht und es wurde doch ziemlich ausführlich erläutert, dass das eine mit dem anderen nix zu tun hat.
    Wenn ein paar Menschen nen leer stehendes Haus besetzen, wie genau wird Dir persönlich damit etwas „drüber geholfen“?

  5. Nein, liebes Fragezeichen, ich hätte beim Blick ins HEUTE nicht resigniert. Vielleicht noch an den nächsten Baum gepinkelt. Danke dafür, dass meine historischen Kolumnen dem einen und der anderen gefallen. Was mir aber besonders gefällt, ist die Verquickung der Historie mit der Gegenwart. Ich bekenne mich schuldig. Das ist meine Absicht.

  6. @Heinz kulb

    Ich mag Ihre Artikel und bin da voll bei Ihnen, aber da ist mit meinem Kommentar was durcheinandergeraten.

    Ich meinte den Autor des Artikels von damals. Sie sind ja im hier und jetzt…

    Wenn der die Tendenzen damals unmöglich fand hätte er es heute hier umso schwerer… ;-)

    Sorry, wenn das mit dem Autor nicht klar formuliert war.

Kommentare sind geschlossen.