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Fast ein Déjà-vu!?

„Ein was?“, fragte Thomas etwas abwesend seinen Freund Alex, mit dem er sich am 27. August im Café Combo auf der Louisenstraße in der Dresdner Neustadt traf. Beide saßen draußen an einem Tisch. Bei dieser Hitze, mit der der August des Jahres 2022 die Menschen plagte, war es im Schatten des Hause an der Südseite der Louise noch auszuhalten. Ein kühler Cocktail ließ beide an diesem Nachmittag zur fünften Stunde entspannen.

„Ein Déjà-vu“, setzte das wandelnde Lexikon Alex dozierend zur Antwort an, „ist was Französisches, so eine Art Erinnerungstäuschung. Man glaubt, etwas schon einmal erlebt oder gehört zu haben.“ Da verstand Thomas, was Alex mit seiner Sicht auf die aktuelle Lage meinte, mit den stark steigenden Preisen von Lebensmitteln, Strom und Heizung, der Inflation und der sich anbahnenden politischen Verwerfungen.

„Die fetten Jahre sind vorbei“, meinte Alex. „Viele haben sich was vorgemacht mit dem ewigem, fast religiösen Fortschrittsglauben. Ewigkeit gab es noch nie. Es herrschte stets ein Auf und Ab. Ewig ist nur die Veränderung. Warum sollte es unbedingt jetzt anders sein? Und dieses Gequatsche vom Ende der Geschichte und ewigem Frieden.“ Einige Augenblicke herrschte Stille, die schnell vom quirligen Leben der Umgebung erobert wurde.

„Lass mich dir eine Geschichte erzählen. Die spielt dort drüben im ‚Mondpalast‘. Nicht heute, sondern vor genau 100 Jahren, im August 1922. Da hieß dieses Lokal noch ‚Stadt Rendsburg‘ und war ein gut gehendes, über die Louise hinaus bekanntes Restaurant.“1

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Es brodelt sich was zusammen

Am 27. August 1922 zur fünften Stunde nachmittags trafen sich fünf ehemalige Schulfreunde zur wöchentlichen Skat- und Schwatzrunde: Ewald Forker, seines Zeichens Getreidehändler und der liberalen Deutschen Demokratischen Partei (DDP) angehörend, Alfred Hering, Stellmachergehilfe und KPD-Mitglied, der USPDler und Schneider Walter Krusler, der Gastwirt der ‚Rendsburg‘, Max Butter und der ehemalige Oberleutnant der Königlich sächsischen Armee und heutiger Oberlehrer Artur Kegel, der den Deutschnationalen und dem Stahlhelm nahestand. Alle fünf wohnten noch hier in der Louisenstraße.

Hotel Stadt Rendsburg vor ca. 100 Jahren.
Hotel Stadt Rendsburg vor ca. 100 Jahren.

In diesen Tagen drehten sich ihre Gespräche wieder einmal um die politische Lage nach dem verlorenen Krieg und die Situation unter der jetzigen Mitte-Links-Regierung in Sachsen, bestehend aus SPD, USPD und DDP.2 Alfred und Walter legten nahe, dass jetzt die Arbeiter zeigen würden, wie es wirtschaftlich vorangehen könnte, aber die Liberalen im geheimen Bunde mit den Deutschnationalen alles blockieren würden. Das ließ der Oberlehrer Artur nicht auf sich sitzen und beschimpfte beide recht lautstark und plädierte für eine deutsche Volksgemeinschaft zur Rettung des Landes und für ein starkes Bündnis gegen den Versailler Vertrag. Letzterem stimmte sogar der Kommunist Alfred Hering zu. „Versailles muss weg“ und nahm einen kräftigen Zug aus dem Bierglas.

Der liberale Ewald Forker klagte über die galoppierende Inflation, die das Handwerk und die mittelständische Wirtschaft kaputt mache und darüber, dass die Linken nur an ihren Marxismus denken würden. „Schaut nur mal auf die Wechselkurse. Am 22. August 1922 musste man für einen Dollar 1.105 Mark hinblättern und fünf Tage später waren es 1.850 Mark. Und die Preise für die Güter aus dem Ausland, die unsere Wirtschaft so dringend braucht, können wir uns bei diesen hohen Reparationszahlungen fast nicht mehr leisten.“

Oberlehrer Artur Kegel legte den Finger in eine andere Wunde. „Geht doch mal an die tschechische Grenze. Dort kaufen diese Leute von drüben mit ihren Valuta unsere Lebensmittel und andere Güter tonnenweise auf und gefährden damit unsere innere Ruhe und Ordnung. Das gehört sofort verboten. Aber was tut eure linker Ministerpräsident Buck hier im Freistaat dagegen? Nichts. Man streitet sich nur darum, wie man der eigenen Klientel Gutes zukommen lassen könne. Das wäre unter unserem Kaiser nicht passiert.“3

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Dem stimmte sogar Max Butter zu. „Deshalb fordern die Gewerkschaften auch eine Deckelung der Preise für Lebensmittel und Energie, ein sofortiges Verbot von Kuchen und Luxusbackwaren, eine strikte Rationierungen für die wichtigsten Güter in Deutschland, ein Verbot der Produktion von Schokolade, Likören und Konfitüren, weil dort zu importierende Waren drin sind. Auch Apfelsinen brauchen wir nicht. Zudem soll die Bierproduktion eingeschränkt werden. Das wäre aber für mich als Wirt nicht tragbar.“

Da hakte der Kommunist Alfred ein. „Da bin ich auch dagegen. Ich brauche mein tägliches Hopfenblütengetränk. Ja, den Schaumwein für die Reichen soll man ruhig verbieten. Die können sich schon mal an den Gänsewein gewöhnen. Aber abgeschafft gehört unbedingt die Umlage auf die Getreidepreise. Das macht das Brot nur unnötig teurer“, fügte Alfred noch hinzu.4

„Typisch Bolschewisten“, moserte Artur. „Verbieten, verbieten, verbieten. Ihr wollt aus unserem schönen Land eine Sowjetrepublik machen. Wenn es euch hier nicht passt, dann macht euch doch auf in das gelobte Arbeiterparadies mit Hunger und Zwangswirtschaft. Wir werden das hier zu verhindern wissen. Noch einmal wird es keinen Dolchstoß aus eurer Ecke geben.“5

Alfred sprang von seinem Stuhl ruckartig auf, so dass dieser polternd nach hinten fiel. Sein Zeigefinger schnellte vor, das Gesicht puterrot und vor Erregung nach Luft japsend. „Du, du, du … Scher dich nach Italien zu deinem Busenfreund Mussolini und seinen Schwarzhemden. Da bist du gut aufgehoben, du Faschist.“

In dem Moment fuhr quietschend eine Straßenbahn aus der Louise kommend um die Kurve in die Kamenzer. Max und Ewald konnten gerade noch verhindern, dass es in der ‚Rendsburg‘ zu einer heftigen Prügelei kam.

Zur Beruhigung spendierte Max eine Schnapsrunde. „Den wollen die Gewerkschaften jedenfalls nicht verbieten“, schmunzelte er. „Bis jetzt“, lachte Walter und prostete den anderen zu. „Und die Reichsregierung unseres Sozialdemokraten Wirth bastelt doch schon an ein Hilfsprogramm für die Sozialrentner und armen Unterschichten. Das ist doch schon mal was“, versuchte Ewald die Gemüter etwas abzukühlen.6

Brodelt sich wieder was zusammen?

Thomas lauschte aufmerksam dieser Geschichte von Alex. „Heute wissen wir, was aus den Verwerfungen der frühen Zwanziger des vergangenen Jahrhunderts wurde. Meinst du, mit Déjà-vu, dass uns das wieder bevorsteht?“ Alex wiegte seinen Kopf. „Ich bin kein Wahrsager und kann auch nicht im Kaffeesatz lesen. Aber mir schwant nichts Gutes. Ich sehe uns auf dem absteigenden Ast. Und ausschließen würde ich jedenfalls nichts“, sagts und bestellte für beide noch einen Cocktail.

Anmerkungen des Autors

1 siehe Neustadt-Geflüster vom 23. September 2014
2 aus Dresdner Volkszeitung vom 22.8.1922. Dieses Mitte-Links-Kabinett aus diesen drei Parteien existierte von 1920 bis 1922.
3 aus Sächsische Volkszeitung vom 24.8.1922, einem Organ der konservativen Zentrumspartei
4 Forderungen des ADGB an den Reichswirtschaftsminister, Sächsische Volkszeitung vom 26.8.1922; Gänsewein ist eine volkstümliche Bezeichnung für Mineralwasser.
5 Über Leben oder Sterben des Landtages, Sächsische Volkszeitung 24.8.1922
6 aus Dresdner Nachrichten vom 22.8.1922 und 26.8.1922


Unter der Rubrik “Vor 100 Jahren” veröffentlichen wir in loser Reihenfolge Anekdoten aus dem Leben, Handeln und Denken von Uroma und Uropa. Dafür durchstöbert der Dresdner Schriftsteller und Journalist Heinz Kulb die Zeitungsarchive in der Sächsischen Landes- und Universitätsbibliothek. Der vorliegende Text ist literarischer Natur. Grundlage bilden die recherchierten Fakten, die er mit fiktionalen Einflüssen verwebt.

2 Kommentare

  1. Das ist ja mal lustig! Der Mondpalast hiess mal “Stadt Rendsburg”! Aber als gebürtige Rendsburger verstehen wir grad mal nicht, warum es im Volksmund “Die Rendsburg” geheissen hat. “Das” Rendsburg würden wir ja verstehen. Dennoch interessant! Weiter so!

  2. @statler & waldorf:
    “Die Stadt Rendsburg”
    Irgendwann fiel dann die “Stadt” eben weg.
    Wie die “Neue Königstadt”
    Da wurde der “König” aussortiert und übrig blieb “die Neustadt”.

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