Gestern wurde am Amtsgericht ein 25-jähriger Mann zu einer zehnmonatigen Freiheitsstrafe verurteilt. Er hatte im Februar einen anderen Mann so heftig mit den Fäusten ins Gesicht geschlagen, dass der mehrere Frakturen erlitt und ins Krankenhaus gebracht werden musste. Die Strafe wird zur Bewährung ausgesetzt. Unklar blieb das Motiv für die Tat.
Als die Staatsanwältin das mögliche Strafmaß für gefährliche Körperverletzung nannte, entglitten Mikiele B. die Gesichtszüge. Das Strafgesetzbuch sieht nach Paragraph 224 eine Strafe von bis zu zehn Jahren vor. Offenbar hatte der Täter den Sachverhalt komplett anders eingeschätzt.
Er war von Anfang an geständig. Er habe sein Opfer vor einem Laden an der Bautzner Straße getroffen. Es sei ein normaler Streit gewesen, der sei inzwischen beigelegt, er habe sich entschuldigt. „Bei uns ist das so üblich“, übersetzte die Dolmetscherin. Sowohl Täter als auch Opfer stammen aus Eritrea. Bei der Schilderung ist ihm anzumerken, dass er nicht versteht, dass sich ein Gericht, verhandelt wird mit zwei Schöffen, mit diesem Streit auseinandersetzt. Es sei doch inzwischen alles geregelt.
Für Richter Hermann Hepp-Schwab ist damit noch längst nicht alles geregelt, mit Nachfragen versucht er Licht ins Dunkle zu bringen. Nein, er habe das Opfer vorher nicht gekannt. Er wisse auch nicht mehr worüber man gestritten habe. Er wollte ihn nicht töten oder schwer verletzen. „In Eritrea sagt die Polizei, klärt das erstmal selbst“, übersetzt die Dolmetscherin.
Ich lebe ja noch
Nun kommt das Opfer zu Wort, ein 35-jähriger Mann. Die beiden sprechen Tigrinisch, die vorherrschende Sprache in Eritrea. Die Dolmetscherin übersetzt jetzt für Beide. Einen Mann habe er an der Tür gesehen. Der habe ihn komisch angesehen, darauf habe er ihn angesprochen. Dann habe der in mit einer Bierflasche ins Gesicht geschlagen und er sei bewusstlos geworden. Ob das der Angeklagte war, kann er heute nicht mehr mit Sicherheit sagen. Für ihn sei die Sache jetzt auch erledigt. Er lebe ja noch. Ein Freund habe die Entschuldigung ausgerichtet. Er habe jetzt keine Schmerzen mehr, ein paar Zähne seien locker. Aber zum Arzt sei er deswegen noch nicht gegangen.
Anschließend wird eine unbeteiligte Zeugin gehört. Sie hatte den Vorfall beobachtet und Rettungswagen und Polizei gerufen. Sie war mit der Straßenbahn unterwegs und hatte die Schlägerei zwischen den beiden Männern gesehen. Es gab Faustschläge ins Gesicht, dann seien beide zu Boden gegangen, einer habe den anderen gewürgt. Zeugen seien dazwischen gegangen und erste Hilfe geleistet. Ob der Angeklagte der Täter ist, kann auch sie nicht einschätzen.
Schwerste Verletzungen
Detailiert beschreibt die Gerichtsmedizinerin die festgestellten Verltzungen. So hat das Opfer mehrere Frakturen im Gesicht erlitten. Das ergab eine noch in der Nacht durchgeführte Computertomographie. Die Ärzte im Krankenhaus hätte dringend zu einer sofortigen Operation geraten, aber der Verletzte weigerte sich und wollte dann auch das Krankenhaus so schnell wie möglich verlassen. Auch bei der Untersuchung am nächsten Tag konnte sie sich kein vollständiges Bild von den Verletzungen machen. Er verweigerte eine gründliche Untersuchung. Immerhin konnte sie erhebliche Schwellungen und Abschürfungen feststellen. Die Verletzungen waren schon ziemlich gefährlich, aber bei akuter Lebensgefahr wäre der Mann nicht aus dem Krankenhaus entlassen worden.
Gut integriert
Mikiele B. lebt seit 2014 in Deutschland. Er hat inzwischen recht gut deutsch gelernt und arbeitet im Ersatzteilversand bei Volkswagen. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder. Er ist gut integriert, beschreibt Richter Hepp-Schwab seine Lebensumstände. Es ist das erste Mal, dass er mit dem Gesetz in Konflikt gerät, es gibt keine Vorstrafen.
Das Urteil
Die Staatsanwaltschaft plädiert auf eine Haftstrafe von zehn Monaten, die zur Bewährung ausgesetzt werden soll. Als Bewährungsauflage fordert sie eine Schmerzensgeldzahlung an den Geschädigten in Höhe von 2.000 Euro. Der Verteidiger hebt noch einmal hervor, dass der Angeklagte geständig ist und das Geschehene bereut. Er plädiert auf acht Monate und eine geringere Strafe in Höhe von 500 Euro.
Richter Hepp-Schwab entscheidet auf zehn Monate Haftstrafe, die zur Bewährung ausgesetzt werden. Die Bewährungszeit beträgt zwei Jahre, außerdem soll der Angeklagte 1.000 Euro an die Staatskasse zahlen und er muss die Kosten des Verfahrens tragen. Eine Zahlung an den Geschädigten verwarf der Richter, da für den ja der Fall längst erledigt ist. Staatsanwaltschaft und Verteidigung verzichteten auf Rechtsmittel, damit ist das Urteil rechtskräftig.
Danke für den interessanten Artikel. Er verdeutlicht gut, wie schwer es ist, wenn zwei völlig verschiedene Rechtskulturen aufeinanderstoßen und wie mühsam dann die Integration der Menschen ist.