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Das Savoir-vivre, eine deutsche Lebenskunst?

„Métro-boulot-dodo“

Was ich an Deutschland am meisten schätze? Das Savoir-vivre1 natürlich! Ich weiß, diese Lebenskunst verbindet man eher mit Frankreich. Man stellt sich gerne den Alltag der Franzosen gemütlich vor, zwischen der 35-Stunden Arbeitswoche, den vielen Streiks und langen Mittagspausen auf sonnigen Terrassen, am besten mit einem Glas Rotwein.

Peps macht Feierabend - Zeichnung: Jean-Pierre Deruelles
Peps macht Feierabend – Zeichnung: Jean-Pierre Deruelles

Leider ist das Alltagsleben in Frankreich nicht leicht und beschwingt, wie man es oft im Ausland denkt. Französische Kinder sind von 8.30 Uhr bis 16.30 Uhr in der Schule, bei Bedarf mit Hort vorher und danach, und „genießen“ damit den längsten Schultag Europas. Erwachsene sitzen meistens von 9 bis 17 Uhr im Büro. Mit den Fahrtstrecken ist man also selten vor 18 Uhr zu Hause.

Die Aktivitäten für die Kinder versucht man irgendwie zwischen 17 und 20 Uhr reinzuquetschen. Oder auf den Mittwoch zu verlegen: An dem Tag ist nämlich schulfrei, damit die Kinder einen Tag Lernpause haben. Natürlich ist das von Haushalt zu Haushalt unterschiedlich, aber im Allgemeinen kann man den französischen Alltagstress mit dem geläufigen Ausdruck „Métro-boulot-dodo“ gut zusammenfassen. Das heißt „U-Bahn-Job-Heia“.2

Ein Spaziergang in der Neustadt an einem Nachmittag unter der Woche reicht mir dagegen, um sofort ein Urlaubsgefühl zu bekommen: Am Alaunparkt wird gegrillt, Wikingerschach oder Boule gespielt, Jonglieren oder Acroyoga geübt. Und: Softeis gegessen.

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An der Elbe wird gejoggt, Fahrrad gefahren, in der Prießnitz geplantscht, auf Bäume geklettert. Und: bei Luigi Eis gegessen. Am Martin-Luther-Platz trifft man sich an der Wasserkugel zum Erfrischen, Quatschen, Fußball und Tischtennis spielen. Und natürlich auch: zum Eis essen.
In der Stadt wird auf jeder Terrasse Kaffee getrunken und in jedem Biergarten angestoßen: „Schönen Feierabend!“

Beim Anblick dieser fröhlichen Gesellschaft fragte ich mich lange: Sind hier etwa immer Ferien? Es sind doch nicht nur Studenten und Arbeitslose in dieser Stadt. Wir schaffen sie das nur?

„Schönen Feierabend!“
Das verstand ich schnell bei meiner ersten Stelle in einer Dresdner Firma.

Als ich anfangs ins Büro kam, gab es im Keller keinen Platz mehr für mein Fahrrad. In der Teeküche guckten mich meine Kollegen misstrauisch an: Es war 9.15 Uhr und sie waren selbst so lange da, dass sie bereits ihre Frühstückpause genossen.

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Als ich dann zum Mittagessen meinen Kollegen über die lange, leckere und freundliche französische Mittagspause erzählte, die bei der Arbeit und auch in der Schule von 12 bis 14 Uhr dauern kann, verstanden sie überhaupt nicht, warum wir damit so viel Zeit „verschwenden“. Abgesehen von dem (bezüglich meiner Lieblingspause sehr unpassenden) Begriff „Verschwendung“, musste ich aber schon zugeben: Würden die Franzosen so schnell wie die Deutschen essen, hätten sie ja auch früher Feierabend.

Als ich am Nachmittag gerade anfing, hinter meinem Computer voll leistungsfähig zu werden, beobachtete ich dann neidisch, wie meine Kollegen bereits ihre Sachen packten und sich verabschiedeten.

Um 18 Uhr war nur noch mein Bürolicht an und im Keller stand nur noch mein Fahrrad.

So konnte es natürlich nicht weitergehen.

Ich lerne zwar ungern, meinen Arbeitstag bei Tagesausbruch zu starten und ein Brötchen mit Wiener innerhalb von dreißig Minuten runterzuschlucken. Dafür durfte aber auch ich meinen Schreibtisch früher verlassen, die wertvolle Privat- und Familienzeit von 16 bis 18 Uhr genießen und … ein Eis essen gehen!

Also ja, ich bestehe darauf: Die Deutschen (und insbesondere die Neustädter!) sind definitiv viel begabter als die Franzosen, wenn es darum geht, das Leben zu genießen!

    1 Savoir-vivre – korrekt übersetzt eigentlich „verstehen, zu leben“ im Deutschen aber eher im Sinne von Lebensart zu verstehen.
    2 Métro, boulot, dodo geht auf eine Vers des französischen Dichters Pierre Béarn zurück. Mehr dazu in der Wikipedia.
Die Französin Peps in Dresden - Zeichnung: Jean-Pierre Deruelles
Die Französin Peps in Dresden – Zeichnung: Jean-Pierre Deruelles

Ein Gastbeitrag von Peps, der Französin in der Neustadt. Aus der Reihe „C’est la vie! – Chroniken einer Französin in der Neustadt„. Illustrationen: Jean-Pierre Deruelles. Fortsetzung folgt.

Ein Kommentar

  1. Herzlichen Dank für diese fantastische Serie! Wenn man sich schwer damit tut bei Sonnenaufgang aktiv zu werden, dann ist „Tagesausbruch“ eine ganz treffende Beschreibung. Eventuell war das nicht beabsichtigt, ich musste wirklich lachen. Vielen Dank!

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