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Takt32

Die Friedensstraße

Wolkenschiff über der Friedensstraße
Wolkenschiff über der Friedensstraße

An diesem heißen Sommertag hält die Friedensstraße, was sie verspricht: Ab und an pfeift aus einer Regenrinne ein Spatz auf dem letzten Loch, murmelt ein Radio aus offenen Fenstern, klappert ein Geschirr –  ansonsten ist es still.  Ein Wölkchen segelt über den azurnen Himmel. Ein Tag wie im Paradies. Das summen sich auch die schillernden Schmeißfliegen auf den Hundehaufen zu.

Der Eingang zum Paradies
Der Eingang zum Paradies

Paradies-Eingänge gibt es auf der Friedensstraße, die nach dem anrainenden Friedhof getauft ist, diverse. Jedermensch kann sein Türchen wählen. Während der Innere Neustädter Friedhof mit barocken Hinguckern klassisch vom christlichen Paradeis mit Engelsang und Harfenklang kündet, öffnen sich die Pforten des Paradise Sauna Beach Club dem Diesseits zugewandt leibhaftigen Sinnesfreuden. Wem das eine zu fromm und das andere zu sündig ist, kann den Mittelweg gehen, im Kleingartenparadies „Friedenseck“ über den Zaun spähen und Gras und Laubenpiepern beim Knusprigwerden zuschauen. Wie stellte Sartre fest? Die Hölle, das sind die anderen.

Französisches Flair auf der Friedensstraße
Französisches Flair auf der Friedensstraße

Der Frieden auf der Straße im hinteren Winkel der Neustadt sieht beschaulich aus. Es riecht nach begrabenem Hund und frisch Gebratenem. Wenn man die Augen zukneift, glänzen die zerborstenen Flaschen auf dem sandigen Gehweg wie Juwelen.

Im Schaufenster des Unternehmens „Sportivation“ ist ein festmontiertes Fahrrad ausgestellt, mit dem Angestellte in Unternehmen zur Ertüchtigung Smoothies strampeln sollen. Die Katze auf der gegenüberliegenden Straßenseite hat mein Grinsen gesehen, winkt ab und macht eine faule Rolle im Straßenstaub. Ich gehe auf den Friedhof, um mich abzukühlen.

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Der Innere Neustädter Friedhof gehört zu den ältesten Dresdens und bietet sogar schaurige nächtliche Spaziergänge unter dem Namen "Friedhofsgeflüster"
Der Innere Neustädter Friedhof gehört zu den ältesten Dresdens und bietet am Sonnabend sogar einen schaurigen nächtlichen Spaziergang unter dem Namen „Friedhofsgeflüster“* an.

„Der Tod ist die Pforte zum Leben“ heißt es über dem Portal, hinter dem auf drei Ländern prominente und gewöhnliche Entschlafene ruhen. Das Sonnenlicht ist so weiß, dass die Schatten der Grabmonumente auch einem besonders hellen Vollmond geschuldet sein könnten.

Wenn ein Mensch noch nicht weiß, was Gruseln ist, scheint dieser Friedhof nach Mitternacht ein guter Lehrmeister zu sein. Ich überlege, wer mir als Wiedergänger gern einmal erscheinen dürfte. Ein Spaziergang mit Hans Ludwig von Oppell wäre sicherlich spannend. Was würde der wohl zu der sich selbst verwaltenden Street-Art-Galerie entlang der Straße sagen? Auf jeden Fall hätte ich ihm sicherlich genauso viel zu erklären wie er mir.

Graffiti auf der Friedensstraße
Graffiti auf der Friedensstraße

Der Hauseingang der Nummer 23, in der sich bis 2013 das kuschelige Programmkino „Casablanca“ befand, sieht noch immer wie eine Narbe aus. Ein ähnlich ziehender Schmerz macht sich breit, wandert der Blick hinüber auf das Drewag-Gelände, das mit dem Abriss des Haus 7 vor einem großen Krea-Tief steht. Das verlassene Straßen-Büro an der Ecke Fritz-Hoffmann-Straße wirkt wie ein stummer Protest: Arbeiten auf gepackten Koffern ohne Dach überm Kopf.

Büro ohne Dach und Fach
Büro ohne Dach und Fach

Ich spaziere auf’s Grotewohl* weiter. Zwei Frauen stehen auf dem Gehweg. „Kannst du mir nicht einmal zuhören?“, sagt die eine. „Was?“, entgegnet die andere. Uh, dicke Luft. „Ein bisschen Liebe, ein bisschen Frieden“, summe ich zuversichtlich und denke an die Schmeißfliegen. Der Verlust von Frieden beginnt meist mit einem Kommunikationsproblem.

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*Ja, Otto Grotewohl, erst SPD-, dann SED-Politiker, hat Spuren auf der Friedensstraße hinterlassen. Nach ihm ist der große Saal im Drewag-Haus an der Friedensstraße benannt. Einst gab es hier Anwohnerversammlungen zur Umgestaltung des Viertels.

*Das Friedhofsgeflüster ist eine einmalige Veranstaltung am 21. Juli 2018. Sonst ist der Friedhof nachts geschlossen.

Friedensstraße

Straßen und Plätze im Ortsamtsbereich Neustadt

6 Kommentare

  1. tja, der frieden war spätestens dann zu ende, als die experten unsere 39 zu tode saniert hatten. tolle leute, tolle parties, tolles kleinod. adieu.

  2. Der Text hat mich mit wohlfeilen Worten einen Winkel der Neustadt entdecken lassen, der mir so zumindest unbekannt war. Danke!

  3. Nun ja, wir wohnen hier – und wahrlich, nachts kann man hier die Flöhe husten hören… Wundervoll. Ganz zu schweigen von den tollen Nachbarn, den grünen Innenhöfen und dem Bio-Späti plus Wulberts (wenngleich die nicht auf dieser Straße sind). Aktuell werden wir nur gerade von drei Seiten mit Baulärm „zugedröhnt“ – und niemanden scheint es zu interessieren. Aber, watt soll´s, nech, in etwa 3 Jahren is wieder Ruhe…

  4. „Aktuell werden wir nur gerade von drei Seiten mit Baulärm „zugedröhnt“ – und niemanden scheint es zu interessieren.“

    Ich kenne eigentlich nur eine Ecke der Friedensstraße, wo man derzeit von zwei Baustellen zeitgleich zugedröhnt wird (Friedensstraße, Ecke Ottostraße); wobei es auf dem DREWAG-Gelände weniger der Baulärm selber, sondern das von der BG Bau vorgeschriebene Warnpiepen der Baufahrzeuge ist, welches es auch in entlegene Winkel des Viertels schafft und weitestgehend sinnlos nervt (derzeit vier Baufahrzeuge in einem kollisionssicheren Abstand, keine freilaufenden Arbeiter; und die Personen, welche dort arbeiten, nehmen das Piepen schon nicht mehr wahr bzw. tragen Hörschutz, damit der Dauerlärm der Warnpiepen nicht zu Schäden führt).

    Dankenswerterweise werden die Arbeiten derzeit aber – nachdem die exzessiven Bohr- und Betonierarbeiten an der Grenze zur Reichsbahn abgeschlossen sind – wirklich zeitig am Tag beendet, sodass zumindest die späten Nachmittage sowie die Wochenenden aus Richtung DREWAG lärmfrei sind.

  5. Freunde sind Landschaftsarchitekten und mögen Dresden ganz besonders. Die Verbindung aus alten und neuen Elementen und dem Grün der Elbwiesen finden sie besonders interessant. Die Ruhe in manchen Stadtteilen wird von vielen Zugezogenen geschätzt.

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