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Er lässt mal locker Fenster fliegen…

Als die Alte Fabrik noch blau war, hat er hier oft gelesen.
Als die Alte Fabrik noch blau war, hat er hier oft gelesen.
Was ist er denn nun? Dichter, Musikproduzent, DJ, Geschichtenerzähler? “Also ich bin gelernter Verwaltungsfachangestellter”, grinst René Seim frech. Wir haben uns im Hof der Alten Fabrik getroffen. Hier hat er seine ersten Lesungen gehalten, damals war die Alte Fabrik noch Blau.

Aktuell ist gerade die vierte Auflage seines Buches “Fliegende Fenster” erschienen. “Das ist die erste frei erhältliche Ausgabe”, erklärt er, die vorherigen hat er in Kleinstauflage produziert und Freunden und Verwandten zum Lesen gegeben. Nun wurde nochmal alles überarbeitet und auf den 140 Seiten finden sich 68 Kurzgeschichten.

René Seim - Literat, DJ und Neustadt-Fan
René Seim – Literat, DJ und Neustadt-Fan
Beim Lesen der Geschichten muss ich immer wieder pausieren. Es schwirrt im Kopf. Zu verrückt sind die Storys. Doch eines ist allen gemein, sie können ganz prima in der Neustadt spielen, bei fast jeder Kneipenbeschreibung fällt mir das passende Lokal ein. Kein Wunder, hat Seim doch lange in der Neustadt gewohnt, das Zille auf der Görlitzer ist so etwas wie ein zweites Zuhause.

Die Geschichten sind voller Dialoge. Gern auch zwischen Mann und Frau und dem ganzen Drama. Aber auch Vorzüge und Absurditäten von Wohngemeinschaften werden geschildert, oft mit überraschenden Wendungen. Ein Schmunzeln bleibt selten aus, wenn es auch manchmal ein mitleidiges Lächeln ist, ob der Verwunderlichkeit der Protagonisten. “Das ist absurdes Theater, manches reine Phantasie, manches tatsächlich Erlebtes, aber stark abgewandelt”, versucht er sich mit einer Beschreibung. Aber eigentlich sind die Geschichten unbeschreiblich. Selber lesen hilft.

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Aus Gründen der Mietpreisentwicklung hat der 36-Jährige inzwischen zwar die Neustadt verlassen und lebt nördlich von Pieschen. Selbigem Stadtteil beglückt er ab übermorgen mit einer regelmäßigen Open-Mic-Night. Die Neustadt bleibt aber im Herzen. Und am 7. Februar lädt er zur Sitzdisko – natürlich ins Zille.


Leseprobe …

Zwei Freunde

Als an einem frühen Sommerabend Martin auf ihn zukommt, steht Georg mit in den Nacken gehobenem Kopf vor sich hin pfeifend am Gehwegrand herum.

    „Mensch Georg, du hast ja heute eine prächtige Laune!“
    „Ich hab immer gute Laune.“

Georg wird ernst, er gibt Martin zur Begrüßung die Hand.

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    „Aber gestern warst du noch ganz traurig, weil dich Monika verlassen hat.“
    „Stimmt. Ach, du Depp! Musst du mich denn daran erinnern!?“

Georg dreht sich weg, geht zwei Schritte nach rechts und schaut nun sehr traurig in eine Bagelbar hinein.

    „Eh, bist du doof!? Ihr habt euch doch gestern erst getrennt, das hättest du heute Nacht von alleine wieder gewusst.“

Martin verzieht unter leichtem Kopfschütteln den Mund. Georg dreht sich wieder zu ihm und nestelt Martin mit beiden Händen an seinem verwurschtelten Hemdkragen herum.

    „Aber heute Nacht wäre ich voll gefressen gewesen, da täte das nicht so weh! Wie jetzt, am hellen Tage.“

Martin erträgt das Nesteln mit gekräuselter Stirn. Er ist einen kleinen Kopf kleiner als Georg.

    „Ja, dann lass uns doch ins Bellmanns gehen, die haben dunkle Ecken.“

Martin will Georg so auf andere Gedanken bringen.
Der lässt nun von ihm ab.

    „Machen wir! Aber lass uns bitte von etwas anderem reden, ja?“

Georg rückt noch seinen Hut zurecht und schon gehen sie beide schweigsam den mit spätem Licht beschienenen Gehweg in Richtung Alaunpark entlang. Nach einer Weile kneift Georg in Martins rechte Seite.

    „Dann sag du mal, wie war´s heute auf Arbeit?“
    „Ach, wieder sinnlos stressig! Klaus schaut mich schon seit Tagen nicht mehr an. Aber ich muss ja die Anträge von ihm zeichnen lassen. Dadurch habe ich schon eine richtig ekelhafte Schleimerstimme entwickelt, sonst würde er einfach an mir vorbeihören.“

Georg verzieht skeptisch die Stirn:

    „Aber der war ja mal dein Bester, oder?“
    „Ja, bis Eva anfing bei uns ihr Praktikum zu machen. Ab da war´s dann aus mit der Heiterkeit.“
    „Ja, weil du auf sie stehst!?“
    „Leider, leider schwieriger! Sie steht auf mich! Und Klaus wünscht sich, sie stünde auf ihn. Und sagt´s ihr aber nicht.“
    „Das klingt ja anstrengend! Obwohl´s für ihn sicher auch nicht leicht sein wird.“
    „Mag sein, aber wir sind ja auf Arbeit und nicht in einer Kneipe!“
    „Martin, wir beide wissen, dass man sich auf Arbeit genauso näher kommen kann!“
    „Ne, also ich geh schon bloß zum Arbeiten hin!“

Georg pufft Martin in die Hüfte und lacht ihn an:

    „Du, Gefühlen kann man wohl schlecht vorschreiben, wo sie entstehen. Was wäre, wenn sie deinem Typ entspräche? Denk dir, sie wäre so hübsch wie Elisabeth?“
    „Ach, dann würde sie doch sicher nicht Vollstreckungsbeamtin werden wollen!“
    „Und genau so einen Schwachsinn denkst du bestimmt in Farbe und bei Tage, richtig!?“
    „Naja, damit stehe ich jedenfalls nicht alleine da. Das sagt auch unser großer Chef!“
    „Ja, sage mal, bist du denn bescheuert!? Das Aussehen hat doch nie was mit dem Beruf zu tun, du eitler Affe!“

Georg schüttelt ernsthaft angewidert seinen Kopf.

    „Stopp! Wir sind vorbeigelaufen.“

Sie drehen sich um und laufen die drei Meter wieder zurück.

    „Martin, du kannst doch keinen Menschen nach seinem Äußeren … .“
    „Oh!“
    „Sie ist hier.“

Georg rutscht der Magen bis in die Kniekehlen.
Beide halten sie sich die Münder zu, dabei schauen sie schweigend durch die abgedunkelten Fenster in das Café Bellmann hinein.
Monika sitzt mit einem großgewachsenen Mann an einem kleinen, runden Tisch.

    „Sie lacht. Und sieht gut gelaunt aus.“

Georg spricht sehr still und langsam. Martin schweigt und zerkaut nervös seine Zunge. Georg nimmt jetzt langsam und mit zittrigen Händen seinen Hut vom Kopf und hält ihn sich vor das Gesicht. Als Martin ihn so stehen sieht, dreht er sich traurig vom Fenster weg. Ihm wird ebenfalls mulmig. Um sich abzulenken, beginnt er stur in den violett gefärbten Himmel zu starren, während er weiter auf seiner Zunge kaut. Georg lässt den Hut nun ein bisschen sinken, so dass er über dessen schwarzen Rand hinweg hineinsehen kann.

    „Mensch, Martin. Sie lacht. Als sei sie so richtig frei und mit sich. Und er schaut sie sehr geduldig an. Der sieht aus wie eins fünfundneunzig. Bestimmt erzählt er ihr nette Sachen.“
    „Georg, komm, bitte. Wir gehen jetzt weiter.“

Martin spricht durch nur kaum geöffnete Lippen hindurch, dabei tritt er von einem auf das andere Bein. Als müsse er auf´s Klo.

    „Sag ich denn manchmal nette Sachen?“
    „Du bist nett!“
    „Aber ich habe ihr nie gesagt, wie froh es mich machte, wenn sie über meine Witze lachte. Das war, als fielen jahrealte Ängste und Sorgen für Sekunden aus ihr heraus. Dabei zerfiel ihr Gesicht in tausend verrückte Splitter. Mensch, Martin, wenn sie lachte, da war sie wie geheilt!“
    „Eh, jetzt halt mal an, es ist jetzt zu spät! Sie wollte, dass du sie ernst nimmst. Das hast du aber nie hinbekommen!“
    „Ja, weil ich so ein riesengroßer Blödmann bin!“

Georg hackt gegen das Mauerwerk vom Café.

    „Scheiße, ich muss hier weg. Ich werde durch die ganze verdammte Stadt laufen!“
    „Dann brauchst du aber bis morgen früh!“
    „Ist mir scheißegal, es macht mich sauber!“
    „Ich komm mit.“

René Seim – “Fliegende Fenster”

  • Buch im A5-Hardcover, 140 Seiten (16,90 Euro) ISBN: 978-3-00-058066-6, weitere Infos unter www.windlustverlag.de
"Fliegende Fenster" von René Seim
“Fliegende Fenster” von René Seim

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