Ende November konnte man im „Drinnen & Draußen“ Neustädter Kurzgeschichten lauschen und für seinen Favoriten abstimmen.
Dieser Leseabend war Höhepunkt des „Neustädter Kiez-Kurzgeschichten-Wettbewerbs“ und wurde von Paula Peterssen musikalisch begleitet. Vorgelesen wurden die Geschichten von acht Finalist*innen, deren Texte durch Enna Miau und Anton Launer aus den Einsendungen ausgewählt wurden. Insgesamt hatten sich 25 Autorinnen und Autoren beteiligt. Wer es letztlich auf das Siegertreppchen schaffte, entschied das Publikum per Live-Abstimmung. Durch einen Stimmengleichstand teilen sich nun zwei Autorinnen den dritten Platz. Daher präsentieren wir in loser Folge nun vier Kiez-Kurzgeschichten.

Sophie Herz „Verloren in bunt“
Bunt und laut, und voll und viel. Jeder kennt sich, jeder mag sich, jeder „hast du schön gehört“ und „bist du Samstag auch dabei“?
Wie eine kleine Insel, mit allem Guten und allem Schönen und allem Vielem. Einmal über die Brücke und das Herz geht auf und die Schultern fallen und der Kopf geht hoch und die Ohren gehen auf. Menschen laufen enger zusammen, Hände werden gehalten, Haare werden geschüttelt und Kante wird gezeigt.
Doch lebt man hier, atmet man hier, läuft man an der Prießnitz und kauft seine Mate am Späti, sieht man auch eine andere Seite. Eine traurige Seite, fast einsame Seite. Eine Seite wo ein „guter Freund“ jeden Tag zwei Flaschen Wein trinkt und mit „guten Freunden“ abends im Hebedas noch ein paar Bier und das ein Jahr lang. Eine Seite wo ein Brett auf dem Handy und ein Teil oder zwei normal sind, aber ein Dübel mit panisch resigniertem Blick abgelehnt werden muss. „Nee komm ich garnicht mehr drauf klar“. Eine Seite wo man von der neuen Freundin von einem Freund von einem Freund von seinem Freund 22:30 Uhr angerufen wird, weil sie noch was starten will – sie muss morgen erst um 9 auf Arbeit. Eine Seite wo so viele Menschen vor Schmerzen schreien, und hoffen hoffen hoffen dass sie doch bitte heute keiner hört. Eine Seite die klar abgegrenzt ist und doch nah dran an „Hast du schon gehört“ und „bist du Samstag auch dabei“. Nicht mal eine dunkle Seite. Sie ist mitten im Licht, jederzeit sichtbar, für jedermann wahrnehmbar, alltäglich. Sie ist nur einfach nicht schön – sie ist hässlich.
Und wie bunt und laut und voll und viel kann etwas sein, wenn laute Schreie nicht gehört werden und leuchtende Warnschilder nicht gesehen werden. Wie gemeinsam kann man sein, wenn so viele Leute mittendrin alleine sind?
Im mit Spraydosen und langen Reden geführten Klassenkampf vergessen wir, dass es ein Kampf ist zwischen Menschen die voneinander betroffen sind – und Menschen die nicht betroffen sind. Wenn wir die Betroffenheit verlieren – was haben wir dann noch?
Wenn wir uns nicht hören wollen – wer dann? Wenn wir nicht in unserer kleinen Welt helfen können – wie dann in der Großen? Und wenn wir mit uns selbst nicht ehrlich sind – wie können wir dann Ehrlichkeit verlangen?
Die nächste Kiez-Kurzgeschichte folgt in Kürze!

















