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Schützt unsere Jungfrauen

„Herr Diakon, das ist wahrlich impertinent. Da wagt es doch dieses Schmierenblatt unsere braven Dresdner Jungfrauen derart zu verleumden und in den Schmutz zu ziehen.“

Der so energisch an diesem Johannistag1 des Jahres 1843 auf dem Neustädter Markt angesprochene Geistliche der Dreikönigskirche zog die rechte Augenbraue irritiert hoch. Zu den Beiden gesellte sich der in der Rähnitzgasse wohnende Schriftsteller August Schwemme. „Ich verstehe Ihre Aufregung nicht, mein lieber Franz Leopold“, seines Zeichens Hofrat und Professor an der Technischen Lehranstalt.

Beiblatt der Dresdner Abendzeitung von 1843.
Beiblatt der Dresdner Abendzeitung von 1843.

„In meiner geliebten Abendzeitung, einem wahrlich den Geist beanspruchendem Blatt, wird aus dem Rheinischen Telegraphen zitiert, in dem dort ein Schreiberling und Demagoge zu Wort kommen darf, der in unverschämter Weise über unsere braven Dresdner Jungfrauen herzieht. Und dafür war sich diese Redaktion vom Rheine her nicht zu schade, unsere jungen Mädchen schamlos an den Pranger zu stellen.“

„Und was sagte denn nun dieser Schmierfink?“, fragte ungeduldig werdend Schwemme.

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Zaffaran, bring Würze in dein Leben

„Ich weigere mich, mich in diese tiefsten Niederungen verkommener Moralität, die in unseren Tagen weit verbreitet zu sein scheint, zu begeben“, euschophierte sich Franz Leopold.

„Lieber Hofrat, es nützt doch nichts, das verbum scandali2 zu unterdrücken. Es muss ans Licht der Öffentlichkeit gezerrt werden“, entgegnete August Schwemme, dem der Diakon Anton Reichert mit einem Nicken zustimmte. Und dann zählte der Hofrat auf, wie die jungen Damen der Residenz am Rhein gesehen werden. So werden unsere jungen Mädchen verkehrt erzogen, erfahren verderbte Sinnes- und Denkungsarten hierzulande eine ungeziemende Verbreitung.3

Das Neustädter Rathaus um die Jahrhundertwende.
Das Neustädter Rathaus um die Jahrhundertwende.

„Aber so ganz unrecht hat der von Ihnen so negativ betitelte Schreiberling doch nicht die Lage beschrieben, wenn ich diesen heutigen freigeistigen Drang der jungen Mädchen hier in der Neustadt betrachte. Da fehlt doch die keusche Erziehung in vielen bürgerlichen Familien“, warf der Diakon dazwischen.

„Mag hier und da wohl zutreffend sein. Doch diese Verallgemeinerungen muss ich entschieden zurückweisen. Zugegeben, den Pöbel müssen wir leider nicht nur in den untersten Klassen suchen. So behaupte man doch am Rhein, dass hier bei uns an der Elbe die Mädchen bereits mit zwölf Jahren konfirmiert werden, um sie sodann gleich in die Gesellschaft zur Brautschau einzuführen.“3

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August Schwemme lachte laut auf. „Es gibt schon hier und da die von Ihnen beklagte Torheit verblendeter Eltern, baldmöglichst mit ihren Töchtern in der Gesellschaft glänzen zu wollen.“

Bierdemeier Mode in der Mitte des 19. Jahrhunderts.
Bierdemeier Mode in der Mitte des 19. Jahrhunderts.

Dafür erntete er einen bösen Blick vom Diakon. „Mein lieber Schwemme, mir ist klar, dass Sie diese Sittenlosigkeiten gutheißen. Und was ist das Ergebnis? Manche liebliche Blume wird dadurch zu früh entblättert und welkt vor der Zeit dahin.“3

Schwemme klatschte in die Hände. „Was für ein wunderbarer Satz, mein lieber Reichert. Darf ich den zitieren?“ Der Diakon winkte ab. Und der Hofrat erklärte weiter, dass er nicht lebensfremd sei und durchaus sehe, dass auch Dresden nicht frei von unersättlicher Genusssucht sei. Auch sehe er hier auf der einen Seite eine gewisse Prüderie4 und andererseits auch eine verbreitete Koketterie5. Und er gäbe auch zu, dass diese Dresdner Kleinstädterei vielen Fremden und den gebildeten Einheimischen längst ein Anstoß gewesen sei. „Aber sollen wir deshalb alle unsere Jungfrauen mit unverantwortlichem Leichtsinn oder mit raffinierter Bosheit, oder mit der gemeinsten Verworfenheit, wie das vom Rhein her gesehen werde, kennzeichnen?“

„Mein Gott, nein! Natürlich nicht. Davor behüte uns unsere Kirche, das Königshaus und die braven Bürger dieser Residenz“, meinte betroffen der Diakon Reichert. „Warum regen Sie sich so auf, mein lieber Hofrat“, bemerkte schmunzelnd der Schriftsteller. „Wer weiß, in welchen Kreisen sich dieser Schreiberling vom Rhein rumgetrieben hat. Ich sehe das nicht so despektierlich6 wie Sie.“

Franz Leopold bekam eine Schnappatmung und griff sich an die Brust. „Das darf doch nicht wahr sein. Aber von Ihnen habe ich nichts anderes erwartet. Sie gehören doch auch zu dieser Zunft der moralischen Verderbtheit und unterstützen zudem diese Prosa der niedrigsten Lüge.“

Neustädter Markt, Mitte des 19. Jahrhunderts.
Neustädter Markt, Mitte des 19. Jahrhunderts.

Das ließ der Schriftsteller nicht auf sich sitzen und der Diakon hatte viel zu tun, damit diese verbale Auseinandersetzung auf dem Neustädter Markt nicht in einer handfesten Schlägerei endete. „Beruhigt euch. Beide. Sie sind doch ehrbare Bürger und kein Pöbel aus den unteren Schichten. Es ist doch wahr, sicher hat der üble Verfasser ins Blaue hinein geschwatzt, um der reizenden Lesewelt eine sensationelle Lektüre aufzutischen, die an die niedrigsten Instinkte appellieren will.“
Die hitzige Luft kühlte sich langsam ab.

„Danke, lieber Reichert für Ihren Appell an unsere gute Erziehung. Es gibt sie hier noch, die jungfräuliche Zucht und Sitte. Und deshalb habe ich mich mit großer Empörung an die Redaktion des Rheinischen Telegraphen gewandt und um Richtigstellung gebeten.“ Der Hofrat fand es ungebührlich, dass der Schreiber des besagten Artikels in Dresden wohl nur bejammernswerte Dämchen kennengelernt habe. Dresden sei noch nicht so verwahrlost, wie andere Orte in den deutschen Landen. Außerdem bestehe seine weibliche Jugend nicht nur aus willigen Dirnen und nichtswürdigen Koketten. „Es gibt hier noch die edlen deutschen Jungfrauen, die nicht die wahre treue Liebe des bescheidenen Jünglings verhöhnen, die treue zärtliche Gattinnen und brave Hausfrauen zu werden im Stande sind.“3

Dem fügte der Herr Diakon noch hinzu, dass der Verfasser eines solchen Artikels das zarte Geschlecht derart schmähe und in den Schlamm niedrigster Gemeinheit ziehe, das er das Herz und die Hand einer edlen Jungfrau nicht verdiene.

Dem stimmten der Hofrat und der Schriftsteller zu und begaben sich nach dieser Verteidigung der Dresdner Ehre in ein nahes Wirtshaus. Diskutieren machte schließlich Durst.

Anmerkungen des Autors

1 In der Katholischen und Evangelischen Kirche das Hochfest der Geburt Johannes des Täufers am 24. Juni; steht in Verbindung mit der Sommersonnenwende. Dazu gibt es, je nach Gegend, verschiedene Brauchtümer, wie die Johannisfeuer.
2 (lat.) Wort des Ärgernisses
3 Beiblatt zur Abendzeitung vom 7. September 1843
4 übertriebene schamhafte Haltung
5 Verhalten einer Person, die damit einer anderen gefallen möchte.
6 den nötigen Respekt vermissen lassen


Unter der Rubrik “Vor 100 Jahren” veröffentlichen wir in loser Reihenfolge Anekdoten aus dem Leben, Handeln und Denken von Uroma und Uropa. Dafür durchstöbert der Dresdner Schriftsteller und Journalist Heinz Kulb die Zeitungsarchive in der Sächsischen Landes- und Universitätsbibliothek. Der vorliegende Text ist literarischer Natur. Grundlage bilden die recherchierten Fakten, die er mit fiktionalen Einflüssen verwebt.

Ein Kommentar

  1. echauffieren, Entlehnung aus dem Französischen échauffer. Sich erhitzen, auch im übertragenen Sinn von aufregen (Gemüt ~)

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