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Premiere im Socie: Die Buchhändlerin

Die erste Premiere der neuen Spielzeit holte eine gesellschaftliche Kontroverse mit unübersehbarem Dresden-Bezug auf die Bühne.

Während in den Quittenbäumen noch die letzten Klänge des Frauen-Quartetts Treta Mominka hängen und die JuWie Dance Company die Bühne im kleinen Barockgarten einnimmt, steht das Publikum für diese erste Premiere der neuen Spielzeit im Keller des Societaetstheaters Schlange: „Die Buchhändlerin“ von A. Wransky und Robert Wagner verarbeitet ein Thema, das über die Stadtgrenzen hinaus polarisiert. Der Andrang war groß, die erste Vorstellung ausverkauft.

Die Buchhändlerin. Foto: André Wirsig
Die Buchhändlerin.
Foto: André Wirsig

Eng umschlungen im dirty dance

Die Bühne wird zum Ring. Unversöhnlich stehen sie sich gegenüber, die zwei Buchhändler*innen, die ihren Beruf mit Herzblut ausfüllen, die gut sortieren, sich abrackern, Experimente wagen. Die eine spricht von einem „Gesinnungskorridor“, davon, dass die deutsche Bevölkerung ausgetauscht werden soll, und von linker Meinungsdiktatur. Ihr Gegenüber hält dagegen. Benennt Rassismus, stemmt sich gegen neurechte Menschenfeindlichkeit. Der Ton wird rauer, der Hagel der Vorwürfe dichter. Schnell naht es, das Ende des Dialogs, zu dem sich beide Kontrahent*innen gegenseitig schlagkräftig mit der Nazikeule vermöbeln.

Es steht außer Frage, zu welcher umstrittenen Dresdner Persönlichkeit das Stück Bezüge herstellt. Doch die Figuren sind grell überzeichnet, fast Comic-artig in ihren artifiziellen Kostümen und erlangen damit eine allgemeinere Gültigkeit. Präzise und akribisch, bei aller Parodie ausgewogen und ernsthaft, arbeiten sie in temporeichen Dialogen einen Konflikt heraus, der als sogenannter „Spalt durch die Gesellschaft“ geht – und der stets der Dreh- und Angelpunkt der Inszenierung bleibt. So dicht aufgefächert nimmt die Darstellung der Kontroverse um die Meinungsfreiheit („Braun ist auch ein Teil von bunt!“) mitunter groteske Züge an, was zu Lachern reizt. Doch auch wenn sich die Figuren in einem „dirty dance“ eng umschlungen halten oder gemeinsam sehnsüchtig in alten Melodien schwelgen – nie hört sie ganz auf zu schwelen, die kalte Spalterin Wut.

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Zutiefst menschliche Suche nach Sinn

Der Graben scheint unüberwindbar, doch dann provozieren sich die Feind*innen zu einem Seitenwechsel: Sie probieren es in der Weltsicht der anderen und als die rechte auf der linken Seite die wirtschaftlichen Vorzüge von Globalisierung und die Zukunft des Landes in Migration entdeckt, lässt die linke auf der rechten Seite ihre Sorgen um Heimat und Identität zu. Die Matrix bricht auf und beide müssen sich entscheiden: Die blaue oder die rote Pille …?

Das Stück meistert es mit satirischem Show-Charakter und multimedialem Arrangement, die Komplexität einer bedrückenden Zeitfrage dorthin zu bringen, wo sie zurückgelehnt von allen Seiten betrachtet werden kann: die Bühne. Hier gelingt, was sonst nahezu aussichtslos erscheint: die verbissene Debatte mit Humor zu entkrampfen, Einfühlung zu ermöglichen, die Schnittmengen zu zeigen, ohne zu vergleichen. Die Bühne ist das Podium, auf dem die Polaritäten nicht aufgelöst, aber wenigstens kurzzeitig gebannt sind. Das Stück liefert keine Erklärungen und bietet keine Lösungen, aber es zeigt eindringlich auf. Gnadenlos überführt es Klischees der Wahrhaftigkeit und klopft rivalisierende Positionen auf Selbstgerechtigkeit ab. Es zeigt die zutiefst menschliche Suche nach Sinn als Unterfutter lockender Ideologien und die Gefahren verhärteter Fronten – überspitzt, aber niemals schärfer als die Realität.

Die Pointen der einzelnen Szenen erhalten begeisterten Applaus, bis sich die Begeisterung am Ende in lautem Jubel entlädt. Einzelne murmeln Kommentare während des Spiels. Es gibt spontane Klatscher, scharf durch die Zähne gezogene Luft, bedrücktes Schweigen. Obwohl alle konzentriert nach vorn schauen, hat er schon begonnen, der Dialog.

Die Premiere gab den Auftakt für dreizehn weitere Erstaufführungen am Societaetstheater, bevor ab Februar Renovierungsarbeiten am Haus beginnen und der Betrieb nur noch eingeschränkt stattfinden wird. Im Herbst 2022 soll das Theater von September bis Oktober wegen der Umbauarbeiten im Keller und im benachbarten Restaurant gänzlich geschlossen bleiben. Vorher leistet sich die Stätte unter der Leitung von Heiki Ikkola noch einmal volles Programm.

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„Die Buchhändlerin“ am Socie Dresden

  • 13. September, 27. und 28. Oktober jeweils 19.30 Uhr im Societaetstheater Dresden
  • Das gesamte Programm