Anzeige

Wohnungen statt Leerstand

„Politik war vor Volt weit weg“

Jessica Roitzsch und Hans-Günter Brünker sind für Volt auf Wahlkampf in der Neustadt. Im Interview mit dem Neustadt-Geflüster geht es um ihren persönlichen Antrieb, Volt, die Bundestagswahl und natürlich: Europa.

Hans-Günter Brünker und Jessica Roitzsch vor dem Volt Wahlstand- Foto: Jonas Breitner
Hans-Günter Brünker und Jessica Roitzsch vor dem Volt Wahlstand- Foto: Jonas Breitner

Stellt euch doch bitte kurz vor.

Roitzsch: Hallo ich bin Jessica Roitzsch, ich bin 35 Jahre alt, wenn ich nicht was für Volt mache, arbeite ich im Hotelgewerbe. Zu Volt bin in 2019 gekommen. Ich habe damals auf dem Weg zur Arbeit ein Plakat von Volt gesehen und habe angefangen zu recherchieren. Dann habe ich mich hier im Café Europa zum „Meet and Greet“ getroffen. Davor hatte ich nie was mit Politik zu tun, aber hier bin ich auf coole Leute gestoßen, die eine positive Vorstellung von der Zukunft und Europa haben. Seitdem bin ich aktiv bei Volt dabei und mittlerweile Vorsitzende des Landesverbandes und Spitzenkandidierende für Sachsen.

Brünker: Ich bin Hans-Günter Brünker, für Volt unglaubliche 54 Jahre alt, und von Haus aus Chemiker. Nach dem Studium war ich in einer Unternehmensberatung tätig, habe zwei Biotechnologie-Unternehmen aufgebaut, danach bin ich auf die Schauspielschule und arbeite seitdem als Schauspieler und Sprecher. Bei Volt bin ich seit 2018, da war Volt noch sehr klein. Ich bin seit jeher überzeugter Europäer. Im Herbst 2018 bin ich auf die Generalversammlung nach Amsterdam gefahren, mit 500 Teilnehmern aus 25 Ländern, da habe ich gemerkt: Ja es macht Sinn in diesem Kreis Politik zu machen. Es macht Sinn Politik nachhaltig zu verändern. Ich sitze im Stadtrat von Bamberg, und bin jetzt Spitzenkandidierender für Volt Deutschland.

Seht ihr euch selbst zuerst als Europäer*innen?

Roitzsch: Ich sehe mich sowohl als Bayer, Sachse, Deutsche, Europäer und Weltbürger, ich denke das schließt sich nicht aus. Das gehört alles zusammen. Man sollte seine lokale Herkunft nicht als schlecht ansehen, aber alles mündet am Ende in Europa.

Anzeige

Tripkid am 26. April im Puschkin Dresden

Anzeige

Archiv der Avantgarden in den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden

Anzeige

Filmfest Dresden

Anzeige

Kommunalwahl-Podium am 15. Mai 2024

Anzeige

tranquillo

Anzeige

DCA Dresden Contemporary Art

Anzeige

Blitzumzug

Anzeige

MusicMatch 2. und 3. Mai 2024

Anzeige

Zaffaran, bring Würze in dein Leben

Brünker: Ich sehe mich tatsächlich als Europäer. Ich habe in den USA gearbeitet, in Australien gearbeitet und gelebt. Und aus dieser Auswanderer-Perspektive sehe ich mich ganz klar als Europäer, weil wir wahnsinnig viel miteinander teilen. Wir teilen ein Wertsystem, ganz viel Kulturgeschichte, da sind wir tatsächlich eine europäische Gemeinschaft. Natürlich sehe ich mich auch als Deutscher, uns eint die Sprache. Ich stamme aus Franken und fühle mich da sauwohl, aber definitiv als Europäer, ja.

Es ist viel Arbeit, der Sommer ist schön, man könnte auch nicht im Wahlkampf sein. Was treibt euch an?

Brünker: Dinge zu verändern und Dinge zu verbessern. Vieles ist verfahren. Ich war lange SPD-Parteimitglied und habe gemerkt: Diese Partei verändert nichts mehr. Wir müssen aus dieser strukturelle Erstarrtheit raus und dafür braucht es neue Ansätze. Ob es um Migration geht, Steuerpolitik, Klimawandel, wir können viele der größeren Probleme unsere Zeit nur noch lösen, wenn wir gemeinsam mindestens einmal in Europa daran arbeiten. Ein Beispiel: Wenn wir all das Geld, das wir in die erneuerbaren Energie in Deutschland stecken, in Europa investieren würden, würden wir für den gleichen finanziellen Einsatz viel mehr erneuerbare Energie erzeugen. Dafür braucht es strukturelle Veränderung und dafür brauchen wir eben europäische Parteien. Es geht darum, politischen Kulturwandel herbeizuführen und dafür muss man eben irgendwann mal sagen: Entweder ich akzeptiere, dass die Welt unvollkommen ist und steck den Kopf in den Sand, oder ich packs halt selber an.

Roitzsch: Politik war vor Volt immer weit weg. Ich hatte davor wenig mit Politik zu tun. Als ich dann hier war habe ich gemerkt: Man kann auch als kleiner Bürger, der nicht Politikwissenschaften studiert hat und Eltern hat, die sowieso alles finanzieren, was bewegen. Das ist was mich antreibt, die positive Vision für die Zukunft. Dass die Bürgerinnen sich wirklich wieder aktiv beteiligen können, das ist der Antrieb, denn ich habe, das ist das wofür ich meine Freizeit opfere und meine Arbeit so lege, dass ich Zeit für Volt habe.

Volt ist eine junge Partei, wo liegen da die Chancen, wo die Herausforderungen?

Brünker: Die Strukturen sind erstaunlich gut. Natürlich haben wir nicht diesen hauptamtlichen Apparat, wir haben etliche die ihre Jobs kündigen, um das aufzufangen. Aber das ,was wir innerhalb von vier Jahren aufgebaut haben, ist immens, vor allem auf europäischer Ebene. Herausforderung ist in erster Linie Bekanntheit. Überall da wo uns Menschen kennen, ist die Zustimmungsrate verblüffend hoch. Wir müssen bekannt werde und das ist in der Medienlandschaft ein unglaublich schwieriges Unterfangen. Obwohl wir im Europaparlament sind und in den Niederlanden im Nationalparlament und in den Stadträten von Städten wie Köln, München, Frankfurt.

Anzeige

Kieferorthopädie

Roitzsch: Der europäischer Gedanke ist gleichzeitig die größte Chance und Herausforderung. Manchmal ist der Dialog zwischen den Mitgliedern zu bestimmten Sachthemen, wie etwa Atomkraft, schwer, dazu kommt die Sprachbarriere. Gleichzeitig bekommen wir unglaublich viel Input von verschiedenen Perspektiven. Einhergehend mit der Bekanntheit ist es schwer in gewisse Schichten reinzukommen, auch in die Fläche bekannt zu werden. Es gibt in Dresden, in Sachsen, Ecken wo das unglaublich schwer ist, mit diesem europäischen Gedanken Fuß zu fassen. Und speziell in Sachsen haben wir hier eine besondere Herausforderung und die heißt AfD und Populismus. Populismus ist einfach. Mit Populismus kannst du Leute schnell catchen. Aber wenn du unterwegs bist und redest mit Leuten und erzählst deine Vision und man merkt, wie die die Leute anfangen zu strahlen, wenn sie merken: „Hey da gibt’s ja doch was!”. Das ist unglaublich schön.

Aber wie holt man die Leute ab? Man könnte sagen, Volt ist eine Partei für junge Akademiker, die in Großstädten leben.

Brünker: Das ist eine sehr städtische Denke. Zum Thema jung: Wir sind von den Mitgliedern vergleichsweise jung. Aber von den Leuten, die uns wählen, sind viele Ältere dabei. Ich unterhalte mich mit über 60-jährigen über Europa. In der Generation ist die Sorge sehr groß, dass das Projekt Europa scheitert. Es ist so, dass du junge Leute schneller motivieren kanns irgendwo aktiv zu werden. Aber die Altersthematik erledigt sich von selbst. Das zeigt sich auch in den Niederlanden: Nach dem Einzug ins Parlament haben wir extrem viele Leute über 50 die in die Partei eintreten. Zum Thema flaches Land: Die Leute auf dem Land werden in der Stadt immer wieder unterschätzt. Die Leute sind wesentlich gebildeter und weltgewandter als man in der Stadt denkt. Auf dem Land fehlt das politische Angebot und da gibt es Wählergruppen, die stehen Volt eigentlich sehr nah. Diese Leute anzusprechen das geht in der Fläche davon bin ich zutiefst überzeugt.

Jessica Roitzsch und Hans-Günter Brünker mit dem Volt Team im Alaunpark - Foto: Jonas Breitner
Jessica Roitzsch und Hans-Günter Brünker mit dem Volt Team im Alaunpark – Foto: Jonas Breitner

Man könnte sagen die Europäische Union ist von oben konstruiert, abstrakt, weit weg und schwer vermittelbar. Ihre Institutionen dienen einer neoliberalen Agenda. Die, die am meisten profitieren, sind die Eliten. Die, die vergessen werden, sind die Leute auf dem Land. Jetzt wollt ihr Europa noch weiter stärken.

Brünker: Also erstens von wegen die Leute in der Fläche profitieren nicht, das ist ein städtisches Vorurteil. Geh ins Sauerland, in Käffern mit 300 Einwohnern sitzen Maschinenbauer die weltweit exportieren, die einen riesen Absatzmarkt in Europa haben. Am Land wird für die Welt gearbeitet, das ist einfach so.

Ja Großkonzerne profitieren über die Maßen aber Europa ist ja nicht entstanden als neoliberale Idee, sondern als Friedensprojekt. Daraus wurde eine Wirtschaftsunion. Dabei ist es dann leider steckengeblieben. Wir haben keine gemeinsame Steuerpolitik, was dazu führt, dass Apple in Deutschland 0,5 Prozent Steuern zahlt. Da fehlt es am politischen Willen das weiterzuentwickeln. Die EU per se ist gar keine neoliberale Institution, da kommt sie gar nicht her, sie wurde in Teilen dazu gemacht. Wir stehen nicht für die EU wie sie ist. Sie bedarf dringender und grundlegender Reformen. Wir müssen die Menschen näher zusammenbringen, weil wenn wir’s nicht tun dann scheitert das Ganze. Und wenn es scheitert, werden wir alleine nicht gegen Russland, China oder die USA bestehen.

Roitzsch: Wenn man bewusst durch die Region geht, sieht man die ganzen Projekte, die von der EU gefördert sind. Ohne die EU wären wir in Sachsen bei weitem noch nicht so weit wie wir heute sind. Die ganze Ostdeutsche Entwicklung wäre nicht so weit, wenn es Europa als Europa nicht so gebe. Gelebtes Europa erfahre ich jeden Tag. In dem Hotel, in dem ich arbeite, sind mehr als die Hälfte der Mitarbeiter Tschechen. Die kommen ganz selbstverständlich über die Grenze zum Arbeiten, wir gehen ganz selbstverständlich über die Grenzen zum Einkaufen, Tanken, Freunde treffen. Ich habe ganz bewusst in Zittau die EU-Osterweiterung miterlebt. Es gab viel Angst und Kritik, aber dann sieht man wie das alles nach und nach wird und zusammenwächst. Es gibt Entwicklungen wie mit der PIS1 in Polen, was noch nicht so ist, aber man merkt die Aufbruchstimmung, die in Osteuropa herrscht.

Aufbruchstimmung in Osteuropa? Aber Polen und Ungarn stellen sich bei so vielen europäischen Projekten quer?

Roitzsch: Die Regierung ja, aber mir geht’s um die Menschen und da merkt man, die wollen. Man merkt da eine Umbruchstimmung. Leider ist die Regierung dort noch nicht so weit, aber die Menschen schon.

Aber die Regierung wird dann doch von den Menschen dort gewählt.

Brünker: Wir reden aber auch um die Meinungshoheit. Da muss die EU sehr genau aufpassen und irgendwann muss man auch die finanziellen Daumenschrauben anziehen und sagen: „Ok wenn ihr Gerichte und die Presselandschaft bereinigt, dann muss man sehen welche finanziellen Konsequenzen hat das“. Das ist das beliebte Spiel: Alles Gute kommt aus dem Land und alles Schlechte von der EU. Dass die EU letztendlich eine sehr gut organisierte Institution sein kann, zeigt sich in der geschlossenen Verhandlungsführung der EU beim Brexit. Die EU kann eine sehr gut funktionierende Organisation sein, wenn man sich denn einigt und nicht sein nationales Interesse bedient. Und das wird mit nationalen Parteien nicht funktionieren, weil sie immer national gewählt werden müssen. Deswegen ist das ein strukturelles Problem, das wir durchbrechen müssen. Deswegen müssen wir auch in den Bundestag, um zu versuchen Europa zu verändern.

Wieso braucht man die Partei Volt im Deutschen Bundestag? Was macht euch anders?

Brünker: Beispiel Steuerpolitik: Wir haben eine Gesellschaft, die immer weiter auseinanderdriftet was Wohlstandsverteilung angeht. Volt steht für 500.000 Euro Lebensfreibetrag, alles andere wird normal versteuert. Andere Parteien haben da gar keine Konzepte. Wir stehen für eine Reform des Bildungsföderalismus. Wie kann es sein, dass in Deutschland dein Bildungsabschluss immer mehr davon abhängt was für einen familiären Hintergrund du hast?

Roitzsch: Das ist während Corona noch einmal deutlicher geworden. Wer kann es sich leisten einen Laptop für die Kinder anzuschaffen und wer nicht?

Brünker: Diese Themen fassen keine der Parteien an, auch die Grünen nicht. Wir brauchen eine Bundesbildungskommision die gemeinsame Standards in der Bildungspolitik setzt. Die Grünen schmiegen sich jetzt schon immer mehr an die Konservativen an und werden einiges über Bord werfen und Probleme mit der Basis bekommen. Daneben braucht es zusätzliche Ansätze.

Roitzsch: Wir sind nicht verbraucht in irgendwelchen Ideologien oder Dogmen. Wir haben einen frischen Blick auf viele Dinge, der in vielen etablierten Parteien abhandengekommen ist. Ich denke es ist schon wichtig, dass neue Impulse reinkommen, dass wieder das Gespräch mit den Bürgern gesucht wird.

Brünker: Wir verwehren uns ganz bewusst dieser Einordnung zwischen links und rechts. Es ist nicht so einfach zu sagen. Wenn man unbedingt diese Einordnung braucht, könnte man sagen, wir sind aus der Mitte und haben wohl mehr Gemeinsamkeiten links der Mitte als rechts der Mitte. Beim Thema Wirtschaft sind wir schon überzeugt davon, dass wir eine starke Wirtschaft brauchen. Unsere Wirtschaftspolitik ist also eher wirtschaftsfreundlich zu bezeichnen, wobei wir eher in die nachhaltige Wirtschaft gehen, als zu sagen: “Wir schützen Großkonzerne zu Tode und ermöglichen ihnen nur 0,5 Prozent Steuern zu zahlen”. das ist nicht unsere Wirtschaftspolitik.

Diese Wahl ist anders. Angela Merkel tritt nicht mehr an. Laut Umfragen stehen „Sonstige“ bei drei bis vier Prozentpunkten mehr als bei der letzten Bundestagswahl. Wie schätzt ihr die Chancen ein, dass ihr tatsächlich die Fünf-Prozent-Hürde überwindet und in den Deutschen Bundestag einzieht?

Brünker: Sie sind vorhanden. Wir haben ja das Phänomen, dass wir drei Kanzlerkandidat*innen haben die im Grunde niemand will, die außerhalb ihrer Partei quasi niemanden mobilisieren können.

Roitzsch: Ich denke bei dieser Wahl ist sehr viel möglich was man vorher nicht auf dem Schirm hat. Wir haben eine große Zustimmung unter den Menschen, die uns kennen. Jetzt müssen uns nur noch mehr kennen. Wir sind bereit, wenn die 5 Prozent fallen. Ansonsten denke ich wird das Ergebnis der Europawahl auf jeden Fall übertroffen werden. Es wird auf jedenfalls sehr spannend.

Brünker: Die Umfragen ändern sich stark. Das Entsetzlich ist es geht gar nicht um Inhalte. Das zeigt wie verloren die Wähler letztendlich sind. Deswegen bin ich super gespannt, wie die Wahl verläuft. Am Ende wird Olaf Scholz noch Kanzler aus Versehen.

Wollt ihr den Leser*innen noch etwas mitgeben?

Brünker: Wenn ihr Fortschritt und Veränderung wollt, wählt Volt.

Roitzsch: Ich denke es ist wichtig den Bürgerinnen und Bürgern eine Stimme zu geben. Dass Politik nicht von oben herab, sondern aus den Reihen der Bevölkerung kommt, und das sollte man nicht vergessen. Was man dann am Ende wählt ist jedem seine Entscheidung.


1 PIS – die Partei stellt aktuell die Regierung in Polen, mehr Infos in der Wikipedia.