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Es kommt darauf an…

Was in der deutschen Sprache extrem schwer fällt und mich immer verzweifelt lässt, ist ihre hohe Detailgenauigkeit. Man braucht manchmal einen sehr langen französischen Satz, um die Bedeutung eines einzigen deutschen Worts richtig zu übertragen!

Wenn ich frage, wie man dies oder jenes auf Deutsch sagt, bekomme ich jedes Mal die gleiche Antwort: „Es kommt darauf an“, was an sich schon ein Satz von anormaler grammatikalischer Komplexität ist. „It depends“, „Depende“, „Dipende“, „Ça dépend“, aber: „Es kommt darauf an“ (oder noch schlimmer: „es hängt davon ab“!). Wo ist denn hier bitte das Verb? Und worauf kommt es an?

Zum Beispiel. „Je veux aller dans la Neustadt“ („Ich möchte in die Neustadt gehen“). Allein für das Verb „aller“ gibt es auf Deutsch so viele Möglichkeiten wie existierende Transportmittel. Ist man zu Fuß sagt man „gehen“; mit der Straßenbahn, dem Auto oder sonstigen fahrenden Verkehrsmitteln, sagt man „fahren“; mit dem Flugzeug, „fliegen“; mit einem Pferd aber „reiten“. Und wie wäre es mit einem von diesen Rollern, die auf den Bürgersteigen rumliegen? Boykottieren!

Nun wie sagt man „dans la Neustadt“? Ist „in der Neustadt“ richtig? Aaah, es kommt darauf an. Wenn ich dorthin unterwegs bin, heißt es „in DIE Neustadt“. Wenn ich schon vor Ort bin, heißt es „in DER Neustadt“.

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Es ist einfach verrückt, wie viele Parameter man berücksichtigen muss, bevor man einen korrekten Satz auf Deutsch aussprechen kann.

Meine schönste linguistische Erinnerung liegt einige Jahre zurück. Ich war zu Hause mit meiner französischen Freundin und ihrem deutschen Freund. Wir hofften, er würde uns dabei helfen unsere existenziellen Zweifel bezüglich seiner Sprache ein für alle Mal aus der Welt zu schaffen.
Denn in der täglichen deutschsprachigen Kommunikation war es uns oft unmöglich, die vielen Variationen der Verben „être“ („sein“ aber auch „liegen“, „stehen“ usw.) und „mettre“ („setzen“, „stellen“, „legen“, und vieles mehr …) korrekt anzuwenden.

Erklärung. Wir Drei sitzen also an einem Tisch. Auf dem Tisch: eine Schachtel Zigaretten und eine Kerze. Die Schachtel „ist“ auf dem Tisch. Die Kerze „ist“ auf dem Tisch. Nun, aufgepasst: Die Schachtel (von Zigaretten, das ist wichtig, denn wenn es eine Schachtel Streichhölzer wäre, könnte es anders sein) und die Kerze „sind“ auf Deutsch nicht auf die gleiche Weise auf dem Tisch.

Denn die Schachtel „liegt“ (sie ist flach, horizontal und parallel zum Tisch), während die Kerze „steht“ (sie steht vertikal und senkrecht zum Tisch). Dann stellt meine Freundin die Schachtel senkrecht auf den Tisch und Oh Zauberei! Jetzt „steht“ sie wie die Kerze.

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Wir wollen unseren Deutschen in eine Falle locken und stellen die Schachtel schräg gegen die Kerze. „Ha! Und nun?“. Der Freund: „Na ja, kommt drauf an …“.

Und was ist, wenn wir sie im Schrank verstecken? Da weiß niemand, ob sie steht oder liegt! Dann „liegt“ sie aber trotzdem, denn meistens platziert man ein flaches Objekt eher horizontal. Soviel zum Verb „Être“.

Für „mettre“ wird es noch komplizierter. Denn es kommt darauf an, was genau man setzt, stellt oder legt, wohin und wie, natürlich. Als nächstes platziert meine Freundin die Schachtel auf den Tisch. Ihr Freund verkündet, dass sie die „hingelegt“ hat. Sie platziert die Kerze auf den Tisch. Der Freund: „hingestellt“. Bei einer Pizza ist es wieder eine andere Geschichte, da man diese nicht „auf“ etwas sondern „in“ (den Ofen) tut. Die Pizza wird also „reingelegt“ (reingelegt? So fühlen wir uns auch gerade!). Nur dass man eine Pizza nicht in den Ofen „legt“, sondern eher „schiebt“, was „reingeschoben“ ergibt. Alles klar?

Fassen wir das alles zusammen beim Kuchen backen mit Butter und Milch, und sehen wir, was in dem Kopf einer Französin vor sich geht: „Wo hast du die Butter hingelegt?“ -> Butter -> Objekt, dessen physikalische Eigenschaften denen der Zigarettenschachtel ähnlich sind: eher flach und vorzugsweise horizontal platziert (es sei denn, es gibt keinen Platz mehr im Kühlschrank, aber gut) -> die Butter „liegt“ also -> jetzt kann ich meinen Satz formulieren -> „Wo hast du den (ach nein, Butter ist ja weiblich auf Deutsch) die Butter hingelegt?“.

Nun, und die Milch, wo ist die? -> Milch -> Objekt, dessen physische Eigenschaften eher denen der Kerze ähneln: weiß (nein, das ist egal), aufrechtstehend und am häufigsten vertikal platziert (sonst fließt sie überall hin) -> die Milch „steht“ also -> Ich beginne -> „Wo hast du den (ach Mist, Milch ist auch weiblich auf Deutsch) die Milch hingestellt?“

Geschafft!

Die Französin Peps in Dresden - Zeichnung: Jean-Pierre Deruelles
Die Französin Peps in Dresden – Zeichnung: Jean-Pierre Deruelles

Ein Gastbeitrag von Peps, der Französin in der Neustadt. Aus der Reihe „C’est la vie! – Chroniken einer Französin in der Neustadt“. Illustrationen: Jean-Pierre Deruelles. Fortsetzung folgt.

11 Kommentare

  1. Aber Achtung: Wenn die Butter in einer Dose ist, dann hat man die Dose irgendwo hingestellt, nicht gelegt – obwohl sie meist flacher als hoch ist :-)

  2. Einfach köstlich diese Beiträge!
    Achso, da fällt mir ein…Beitrag…könnte auch ein zu zahlender Betrag an einen Verein, eine Organisation, Versicherung etc. sein.
    Es kommt eben darauf an…

    Bitte noch viel mehr davon.

  3. Wunderbar, hervorragend ausformuliert :-D

    Übrigens noch ein schönes Beispiel: Der Text „steht“ auf der Seite, er liegt nicht, er steht. Ist er nicht horizontal, sondern von unten nach oben geschrieben, steht der Text auf der Seite auf der Seite. Ein Smiley steht übrigens nicht, er ist. Egal. Ist der Text parteisch, er befürwortet z.B. ein Argument von Anton und versucht die Argumente von Philine zu wiederlegen (und ist vertikal), steht der Text auf auf der Seite auf der Seite von Anton auf der Seite, auch wenn es sowieso Antons Seite ist, wo der Text auf der Seite von…

  4. Hahahaha. Ganz großartig beschrieben und zusammengefasst! Es ist eben kompliziert mit der deutschen Sprache ;)
    Am besten wird hier deutlich (Bsp. meines Kollegen aus Malaysia):
    „Im Deutschen ist das Gegenteil von umfahren, umfahren.“

  5. Habe herzlich gelacht!

    Ich bin selbst mit einer Ausländerin verheiratet und kenne seither diese „komischen“ Fragen. Warum z. B. heißt es Schwedin, Engländerin, Polin aber nicht „Deutschin“? Warum wohnen in England Engländer, aber in Finnland keine „Finnländer“? Warum sind sind die Einwohner Schwedens Schwede oder Schwedin, die Einwohner Norwegens aber nicht „Norwege“ oder „Norwegin“ bzw. umgekehrt, warum gibt es nicht „Schweder“ und „Schwederin“? In Österreich wiederum wohnen Österreicher, aber in Frankreich keine „Frankreicher“. Und in Vietnam wohnt der Vietnamese, in Japan aber nicht der „Japanese“.

    Warum komme ich aus „der“ Schule, aber gehen in „die“ Schule („woher“ -> Dativ, „wohin“ -> Akkusativ)? Noch schöner wurde es, als die Liebste versuchte, Logik in den deutschen Genus („der“, „die“, „das“) zu bringen – es gibt keinen, bis auf ein paar wenige Ausnahmen. Gelegentliche bösartige Dialekt-Auswüchse meinserseits („Er ist ihm seiner Mutter ihr Auto am Reparieren“) führen zu vollständiger Verwirrung und zur Frage, ob ich wirklich Deutscher bin.

    Tja, sage ich dann immer zu ihr – die Grenzen mögen offen sein. Aber unsere Geheimwaffe, die dafür sorgt, dass ihr Migranten hier nie die Kontrolle übernehmen werdet, die kann uns keiner nehmen…

  6. Zu Schulzeiten war mein Verhältnis zur französischen Sprache deutlich negativ geprägt. Damals kam von einem Klassenkameraden der Spruch „Diese Sprache besteht ausschließlich aus Ausnahmen!“
    Heute mag ich die Sprache sehr und lerne regelmäßig und gerne. Was sehr beim Sinneswandel geholfen hat, war einerseits die Erkenntnis, dass beide Sprachen ein vergleichbares Niveau an Tücke aufweisen, andererseits die Franzosen und Französinnen, denen ich begegnete und die mir lachend bestätigten, dass auch die französische Sprache bisweilen für Nichtmuttersprachler völlig unverständliche Konstrukte beinhaltet.

  7. Hahaha… Aber so logisch ist es nicht immer: „Der Vogel SITZT im Baum“… obwohl er auf seinen Beine steht :)

  8. Ein Kranker wird gefragt … Was fehlt Dir denn / was hast´n Du?

    Wahrscheinlich öffnen ab ersten März wieder die Friseur:Innen oder doch eher die Friseus:Innen.

    Dann esse ich doch lieber ein Schnitzel mit würziger Soße statt mit Sinti und Roma Soße. Aber das ist schon wieder eine andere Baustelle.

  9. Im Französischen ist wirklich alles einfacher. Mit ganz ordentlichem Schulfranzösisch ausgestattet fuhr ich einst mit dem Rad durch Frankreich. Schnell merkte ich: Ich hatte all die schönen Verben umsonst gelernt. Außer „mettre“ (stellen, stehen, legen, ..) und „faire“ (machen, tun, und vieles andere) braucht man eigentlich nichts weiter.

    Du suchst ein Zimmer? In der Gite neben dem Gasthof, da machen sie Zimmer (Ils font des chambres). Du möchstest ein Messer kaufen? Da im Laden machen sie Messer (Ils font des couteaux). Woher ich heute herkam? Ach, Du hast den Paß gemacht (Tu as fait le col). Und bei Peugeot machen sie Autos (Ils font des voitures). Aber klar doch…

  10. bei „die Grenzen mögen offen sein…“ musste ich so lachen, dass mein mobiles Endgerät jetzt einen Kaffee-Schaden hat
    Danke dafür ;-)

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