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Der verdeckte Killer (Teil 2)

Die Spanische Grippe in Dresden 1918 bis 1920

Corona hat uns heute im Griff. Vor 100 Jahren gab es Ähnliches: die „Spanische Grippe“. Zwischen 25 und 50 Millionen Todesopfer forderte sie weltweit, mehr als der Erste Weltkrieg mit seinen 17 Millionen Toten. In drei Wellen suchte diese Grippe Europa, Deutschland und Dresden heim.

In mehreren Folgen möchte ich die Wirkungen der Pandemie zwischen Krieg und Revolution, zwischen Hunger und Tanz auf dem Vulkan in den gesellschaftlichen Schichten darstellen. Sie werden staunen, welche Parallelen es zur Pandemie 2020 gibt.

Noch gaben der Dresdner Stadtbezirksarzt und die Allgemeine Ortskrankenkasse Entwarnung. Am 10. Juli 1918 verlief die Grippe in der königlich-sächsischen Residenz vergleichsweise harmlos. Zwar kamen immer wieder neue Fälle hinzu, doch dafür gesundeten auch wieder die Menschen. Die Krankheitsverläufe waren mild. Deshalb konnte man sich wieder ungeteilt den aktuellen Themen widmen.

Die Dresdner Nachrichten berichteten an diesem Tag von den erfolgreichen Kämpfen der deutschen Truppen in Frankreich westlich von Chateau-Therry. In einem Brief an den Vorsitzenden der Ortsgruppe Naumburg der Deutschen Vaterlandspartei, General der Artillerie z.D. von Roehl, bittet Generalfeldmarschall von Hindenburg um Geduld und um Siegeswillen. „Steht gut. Nur müssen uns die geehrten Heimstrategen gütigst Atempausen gestatten.“ Kein Wort vom Giftgaseinsatz. Kein Wort von der Spanischer Grippe, die auch an der Front wütete.

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Experten gab es damals auch

Über das Wesen dieser rätselhaften Spanischen Grippe äußerte sich ein Dr. Walter Hesse, Assistenzarzt an der Universitätsklinik in Halle/Saale in o.g. Zeitung: „Die bisherige, allseitig geteilte Meinung, dass die ‚spanische Krankheit‘ mit der Influenza, zu Deutsch Grippe genannt, identisch sei, ist nach meinen Untersuchungen als irrig anzusehen. Auch wenn es Ähnlichkeiten mit der Influenza gibt, so konnte ein entsprechender Bazillus im Blut nicht nachgewiesen werden. Stattdessen fand man im Nasen- und Rachenschleim in allen Fällen den Streptococcus.“

Heute wissen wir, dass der Experte Recht hatte. Des Weiteren verfärbte sich bei auftretenden Lungenentzündungen die Haut blau-schwarz, hervorgerufen durch Sauerstoffmangel. Bei den ersten Fällen von Corona in China Ende 2019 waren gleiche Symptome aufgetreten. Deshalb wurden schnellstens Atemgeräte benötigt, um qualvolle Erstickungstode zu verhindern. Diese Geräte gab es 1918 noch nicht. Zudem war ein „Virus“ etwas völlig Unbekanntes.

Die Schlinge zieht sich langsam zu

Aus London wurde berichtet, dass die Krankheit immer mehr an Boden gewänne. Die Leute standen in Massen stundenlang vor Arztpraxen. So betreute ein Arzt am 1. Juli 1918 „nur“ 62 Patienten und einen Tag später 184. Lungenentzündungen und Meningitis führten zu schnellem Tod. Hygienemaßnahmen fehlten weitestgehend. In vielen Orten mussten die Schulen schließen und den Soldaten wurde der Zutritt zu Theater und Kino verboten. Straßenbahnen und Züge fielen wegen Krankmeldungen der Führer und Schaffner aus. Ferner mussten Kohlebergwerke schließen. Ähnliches wurde aus Holland, Frankreich und der Schweiz berichtet. Doch hier im hochsommerlichen Dresden verlief alles noch recht harmlos.

Humor und Satire

Zur Vertreibung der Spanischen Grippe macht das Satiremagazin Kladderadatsch folgenden Vorschlag: „Um die Grippe zu vertreiben, lasse man sie von einer neu zu gründenden Kriegsgesellschaft restlos erfassen und darauf einen Höchstpreis dafür festsetzen. Nach den bisherigen Erfahrungen ist die Krankheit dann im Nu verschwunden.“

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Die kleinen Leute haben andere Sorgen

So machte der Kommunalverband Dresden-Stadt und Land am 10. Juli 1918 darauf aufmerksam, dass die Mairübchen doch ein guter Ersatz für die mangelhaft vorhandenen Kartoffeln seien. Der Alte Tierschutzverein beklagte, dass immer mehr Kinder aus der Neustadt und der Johannstadt in der Elbe kleine Fische fangen. Diese würden unsachgemäß in Gläser und Blechbüchsen getan, wo sie jämmerlich erstickten. Der Verein forderte die Eltern auf, „einzugreifen, die Kinder zu beaufsichtigen und nützlich zu beschäftigen, denn jugendliche Tierquäler werden später meist Verbrecher“.

Echter Bohnenkaffee – das war Bückware und Schmuggelware. Heiß begehrt und teuer bezahlt. Den konnte sich nur leisten, wer das nötige Kleingeld übrighatte. Der gemeine Proletarier und der in diese Klasse gestürzte Mittelständler sicher nicht. Für diese gab es Kaffee-Ersatz oder ‚Muckefuck‘. Die Dresdner Neuesten Nachrichten wollten wissen, was da eigentlich in dieser braunen Brühe drin sei?

Nun, die Zeitung schrieb nur, was nicht drin sei, also keine Nussschalen, keine Pflaumenkerne, kein Holzmehl, kein Torf und selbstverständlich kein Koffein. Das waren die Vermutungen, die gerüchteweise durchs Volk geisterten. Dieser Kaffee-Ersatz war kein Produkt aus Kriegszeiten, sondern ein wichtiges Element aus der Naturkostbewegung des ausgehenden 19. Jahrhunderts.

Schon zu Zeiten der Kontinentalsperre, als Napoleon Kerneuropa in Griff hatte, wurde dieser Ersatz für das ehemals türkische Gebräu erfunden. Enthalten können sein: geröstete Gerste (Malzkaffee), Zichorie, Bucheckern, Dinkel, Roggen, Feigen, Lupinen und andere Kredenzen. Und 1918 wurde echter Bohnenkaffee quasi mit Gold aufgewogen.

Die erste Welle war in Dresden relativ harmlos

Die erste Welle traf Dresden sanft. Kleinstkinder, junge Erwachsene bis 27 und ganz Alte waren meistens die Leidtragenden. Wissenschaftler vermuteten, dass hauptsächlich die Menschen betroffen waren, die erst nach der letzten großen Influenza-Epidemie 1889/90 geboren wurden. Alle anderen hatten wohl eine Grundimmunisierung. Doch das wusste man damals nicht.

Als Ende des Monats Juli die Spanische Grippe stark abflaute, atmete die Residenzstadt hörbar auf. Dazu passte, dass die Cholera-Säule, die damals auf dem Postplatz stand, Ende des Monats Juli 75 Jahre alt wurde. Sie entstand nach einem Entwurf von Gottfried Semper. Der Freiherr Eugen von Gutschmied stiftete sie zum Andenken daran, dass Dresden damals von der drohenden Heimsuchung der Cholera-Epidemie verschont bliebe.

Ein gutes Omen. Dachte man. Und feierte trotz Krieg und Lebensmittelknappheit. Aber zu früh gefreut. Als eine noch grausamere, todbringendere Welle kam die Spanische Grippe im Herbst 1918 zurück.

Unter der Rubrik „Vor 100 Jahren“ veröffentlichen wir in loser Reihenfolge Anekdoten aus dem Leben, Handeln und Denken von Uroma und Uropa. Dafür hat der Dresdner Schriftsteller und Journalist Heinz Kulb die Zeitungsarchive in der Sächsischen Landes- und Universtätsbibliothek durchstöbert.

Ein Kommentar

  1. Na das sind ja schonmal gute Aussichten, wenn Buzz-Illus Crono-Coccus dann im deutschen Herbste zum echten Volkssturm bläst. Diese ohnehin fiesen Vertreter(innen) der Erreger(innen)kohorte haben es womöglich zur Strategie, sich Nachlässigkeit und Scheinsicherheit gekonnt zu Nutze zu machen.
    Insofern Dank an den historischen Rückblick, der uns Warnung sein kann. Besser jetzt noch das (zumeist überflüssige) Stink-KFZ verkoof’n, als dann erst im Herbst, als letzter Ruf und Wille, vom Intensivbett kurz vorm Inturbieren.

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