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Sonderausstellung: Behinderung in der Kunst von Barock bis Gegenwart

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Seit Ende Oktober ist im Neuen Grünen Gewölbe in Dresden die Ausstellung „Bewundert, gesammelt, ausgestellt. Behinderung in der Kunst des Barock und der Gegenwart“ zu sehen. Die Schau beleuchtet, wie Behinderung in der höfischen Kunst und zeitgenössischen Werken dargestellt wurde und wird.

Jakob Hoffmann, Bildnis des Thomas Schweicker, 1595
© Kunstkammer Georg Laue, München/London, Foto: Jens Bruchhaus
Jakob Hoffmann, Bildnis des Thomas Schweicker, 1595
© Kunstkammer Georg Laue, München/London, Foto: Jens Bruchhaus

Eines der zentralen Exponate ist das Porträt des Fußkünstlers Thomas Schweicker aus Schwäbisch Hall. Schweicker, der ohne Arme geboren wurde, erlangte im 16. Jahrhundert als Kalligraph große Bekanntheit. Das Gemälde befand sich seit 1603 in der kurfürstlichen Kunstkammer in Dresden, wurde jedoch nach deren Auflösung 1832 verkauft. Nun kehrt es erstmals als Leihgabe des Sammlers Thomas Olbricht nach Dresden zurück.

Die Ausstellung zeigt zudem weitere außergewöhnliche Persönlichkeiten, wie einen zweiten Fußkünstler aus dem 17. Jahrhundert, dessen Porträt und Werk bislang unveröffentlicht waren. Auch der Harnisch des „Hofzwergs“ Rupert von der Veste Coburg sowie Darstellungen des kleinwüchsigen Hofbediensteten Hante, der aus Indien nach Dresden kam, sind zu sehen.

Behinderung zwischen Anerkennung und Diskriminierung

Die Ausstellung thematisiert die ambivalente Stellung behinderter Menschen an europäischen Höfen. Einerseits hatten sie oft eine privilegierte Position und genossen hohes Ansehen. Andererseits waren sie immer wieder Objekt der Zurschaustellung. Besonders populär waren Darstellungen kleinwüchsiger Menschen, die als „Hofzwerge“ teils prestigeträchtige Rollen einnahmen. Diese Thematik zeigt sich in der Druckgrafik und Schatzkunst des Barock und wird in der Ausstellung umfassend reflektiert.

Auch Behinderungen, die durch Kriege erworben wurden, und die Entwicklung prothetischer Hilfsmittel werden in der Ausstellung thematisiert. Die Gegenüberstellung historischer und zeitgenössischer Perspektiven schafft eine Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart.

Schwedischer Grenadier mit Stelzfuß, Dresden, wohl 1709-1725
© Grünes Gewölbe, SKD, Foto: Jürgen Karpinski
Schwedischer Grenadier mit Stelzfuß, Dresden, wohl 1709-1725
© Grünes Gewölbe, SKD, Foto: Jürgen Karpinski

Zeitgenössische Beiträge und kuratorische Ansätze

Die vier Künstler*innen Eric Beier, Eva Jünger, Steven Solbrig und Dirk Sorge erweitern die Schau um zeitgenössische Arbeiten. Ihre Werke hinterfragen gesellschaftliche Normen und erweitern die Ausstellung sowohl auf künstlerischer als auch auf kuratorischer Ebene. Mit ihren Werken kontextualisieren sie die historischen Objekte und Sammlungspraktiken. Zudem setzen sie sich aus heutiger Perspektive mit Behinderung und damit einhergehenden Erfahrungen auseinander.

Ein visuelles Leitsystem von Eric Beier führt die Besucherinnen und Besucher vom Kleinen Schlosshof in den Ausstellungsbereich. Weitere Leihgaben von Eric Beier thematisieren die Kategorisierung von Menschen in verkürzte Systeme (wie ein binäres Geschlechtersystem oder Behinderung) und bieten einen Vorschlag zu Neuordnung an. Denn die vorhandenen Schubladen gehen mit Marginalisierung und Diskriminierung einher, wie weiteren Werken von Beier zu entnehmen ist.

Mit der historischen Verwurzelung von verkürzten Denksystemen setzt sich Eva Jünger in ihrer Hörstation auseinander. Sie schlägt eine Brücke von den mythologischen Narrativen, die bereits im Barock die Perspektive auf Menschen mit Kleinwuchs verfälschten und bis heute zu gravierenden Fehlannahmen führen. Ihre selbstverfassten Texte sind von Jünger eingelesen in der Hörstation abrufbar.

Steven Solbrig zeigte am Eröffnungsabend eine Lecture Performance mit dem Titel „Soon We Will Be Legends? Von Bettlern, Wundern, Crips im Barock und der Gegenwart“. Zudem präsentiert Solbrig im Schlosshof die Arbeit „disabled women, anonymous“. Mit dieser Gipsskulptur hat Solbrig einen Ort des Gedenkens an verstorbene Frauen mit Behinderung geschaffen. Die Skulptur gibt all jenen Frauen als Stellvertreterin eine Sichtbarkeit, die von der Mehrheitsgesellschaft in den Bereich des unsichtbaren gedrängt wurden.

Dirk Sorge zeigt eine Intervention im Neuen Grünen Gewölbe. Er hat die Leerstellen in den Vitrinen bestückt, die durch die Entnahmen für die Sonderausstellung entstanden sind. In seiner Intervention gelingt es Sorge, mit klaren und humorvollen Botschaften, die Sammlungspraktiken infrage zu stellen und zu konterkarieren. Den historischen Raritäten stellt Dirk Sorge Zeitgenössische entgegen, den Preziosen begegnet er mit dem Prekären, was oft genug den Preis für den Prunk zahlte und zahlt. Die Texte in seinen Videoarbeiten verdeutlichen die Botschaften der präsentierten Objekte und eröffnen zusätzliche Perspektiven, die als Folie zur Betrachtung des historischen Ausstellungsteils dienen können.

Ausstellungsansicht "Bewundert, gesammelt, ausgestellt", Foto: Olliver Killig
Ausstellungsansicht „Bewundert, gesammelt, ausgestellt“ in den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, Foto: Olliver Killig

Zu den rund 50 ausgestellten Objekten zählen neben Werken aus den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden Leihgaben aus bedeutenden Sammlungen wie dem Germanischen Nationalmuseum Nürnberg, dem Kunsthistorischen Museum Wien und der Schatzkammer Esterházy in Eisenstadt.

Bewundert, gesammelt, ausgestellt.

  • im Residenzschloss vom 31. Oktober 2024 bis 3. März 2025
  • Öffnungszeiten täglich 10 bis 18 Uhr, Dienstag geschlossen, Freitag 10 bis 20 Uhr (Blaue Stunde 18 bis 20 Uhr)
  • Eintrittspreise: regulär 14 Euro, ermäßigt 10,50 Euro, unter 17 frei, ab 10 Personen 12,50 Euro pro Person
  • Tickets und weitere Infos: gruenes-gewoelbe.skd.museum

Teilhabe als zentrales Anliegen

Die Ausstellung legt großen Wert auf Barrierefreiheit. Begleitprogramme wie Führungen für sehbehinderte, blinde oder gehörlose Menschen sowie Angebote für Menschen mit Demenz wurden konzipiert. Alle Texte der Ausstellung und das kostenlose Begleitheft sind in einfacher Sprache auf Deutsch und Englisch verfügbar.

Am 4. Dezember 2024 findet im Albertinum die Tagung „Die Unbekannten. Symposium zur Repräsentation von Behinderung in der Kunst“ statt. Die Veranstaltung hinterfragt die oft marginalisierte Rolle von Behinderung im Kunstdiskurs und lädt dazu ein, neue Perspektiven in der kuratorischen Praxis zu entdecken.

Ergänzungen gern, aber bitte recht freundlich.

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