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Hütet euch vor Quacksalbern

„Meine sehr verehrte Frau Schlumpf. Ihr Marktstand ist für mich die reinste Folterbank. Ich komme fast um in dieser herrlichen Wolke frischen Brotes und in Ihrem Anblick. Gebt mir gütigst eins von denen mit der knusprigen Kruste.“

Neustädter Markt, Mitte des 19. Jahrhunderts.
Neustädter Markt, Mitte des 19. Jahrhunderts.

Die so angesprochene erstrahlte mit hitzigen Wangen ob der holden Wortwahl, rückte ihren Hut zurecht und reichte August Balzer, dem Direktor der höheren Bürgerschule nebst Neustädter Realschule1, das gewünschte Backwerk hin. Jeden Freitag, wie auch an diesem milder Märztag des Jahres 1839, verkaufte sie Brote, die beliebten kleinen Brötchen und den begehrten Streuselkuchen der familieneigenen Bäckerei aus Kötschenbroda an die Kundschaft hier auf dem Markt der Dresdner Neustadt.

Und der Herr Direktor, stets fesch gekleidet, hatte es ihr angetan. Wie der sich ausdrücken konnte, faszinierte sie immer wieder. Da könne sich ihr Gatte oder das Gesockse in ihrem Dorf eine Scheibe abschneiden. Besagter Direktor Balzer war einer Konversation mit der adretten Dame vom Lande nicht abgeneigt. Frau Schlumpf war zwar verehelicht, aber gucken dürfe man schon, sagte sie sich. Dann hätte ihr Gatte sie nicht auf den Markt in die Residenz schicken dürfen.

Ein Marktplatz für Nachrichten

Während sie so schwatzten, gesellte sich die Schneiderin Selma Eule aus der Hauptstraße 4 hinzu. Ja, auch um Backwerk zu kaufen. Eventuell. Vor allem aber, um Neuigkeiten zu erfahren. Dabei schlich sie um den Herrn Direktor herum, sperrte ihre Löffel auf und tat so, als wolle sie die ausgelegte Ware näher begutachten. Aber die Bäckersfrau kannte ihre Pappenheimerinnen.

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„Na, Eulin. Was ist heute Ihr Begehr?“

„Ach Frau Schlumpf, Ihnen einen schönen Tag. Ich schaue erstmal, was es heute gibt.“

„Was soll es denn anderes geben als letzten Freitag? Oder anderes als vorletzten Freitag? Oder auch anderes als nächsten Freitag?“, brummelte die Bäckersfrau Selma ungehalten an. Die habe ihr mit ihrer Neugier gerade noch gefehlt. Zudem unterbrach sie die sehr charmante Unterhaltung mit dem Herrn Direktor. Der hatte auch keine Lust auf die Plänkeleien mit der stadtbekannten lebenden Zeitung, zahlte und ging zu anderen Ständen auf dem Markt.

Das Blatt der Neuigkeiten begann sich zu füllen

Zum Glück gesellte sich der Bader2 Friedrich Stübner aus dem Badergäßchen neben dem Kriegsministerium3 und der Neustädter Wache an den Stand. Diesem hatte es der Streuselkuchen angetan.

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„Ach Schlumpfin“, und an die Schneiderin gewandt, „gnädigste Frau Eule, ich musste doch vorhin nach einem Arzte schicken.“

„Oh, sind Sie oder Ihre werte Gattin erkrankt?“, kam es zeit- und wortgleich aus den Mündern der Damen.

„Nein, nein. Wir sind wohlauf. Aber einem Herrn in der großen Wanne war das Wasser wohl zu warm oder das Herz zu schwach oder er hatte zu viel Wein gesoffen. Was weiß ich, jedenfalls wurde er ohnmächtig. Ich konnte ihn gerade noch aus dem Bottich rausziehen, ehe der Herr von da oben ihn zu sich rufen konnte.“

„Und?“

„Und was?“

„Hat der Doktor Ihren Badegast wieder zum Leben erwecken können?“

„Im Prinzip jain. Aber müssen diese Leute von Doktoren immer so penetrant fremdländisch quatschen? Immer um den heißen Brei reden? Und auch dieser Arzt schwatzte sein lateinisches Singsang. Als ich ihn konkret fragte, was der Gast für eine Krankheit hätte, zuckte der nur mit den Achseln. Dabei habe ich mich schon vor Wochen mal an meine Zeitung wegen der angeblich vielen Badkrankheiten gewandt. Sonst lese ich die ja nur wegen der Totenanzeigen, um noch etwaige Forderungen bei den Erben einzutreiben.“4

Sächsiche Dorfzeitung von 1839.
Sächsiche Dorfzeitung von 1839.

Selma Eule wurde ganz hibbelig. „Nun sagen Sie schon, lieber Stübner, was hatte der denn nun für eine Krankheit? Doch wohl nichts Neumodisches, ansteckendes, was aus fernen Ländern kommt? Man traut sich in diesen schlimmen Zeiten nicht mehr aus dem Haus.“

Die Bäckersfrau fing an zu lachen. „Mensch Eulin. Dass Sie sich nicht mehr raustrauen, halte ich für ein Gerücht. Spätestens nach einer Stunde sind Sie wieder auf der Straße. Ohne Futter für Ihr Nachrichtenblatt halten Sie es nicht aus, egal ob Pest oder Cholera wüten.“

Entrüstet hob Selma beide Arme. „Das ist eine impertinente5 Unterstellung. Ich stille nur meinen Wissensdurst. Aber nun zu Ihnen, lieber Bader. Was geht denn nun für eine Krankheit rum?“

Eine neue Krankheit und deren wundersame Heilung

„Der Doktor meinte, der Badegast hätte eine ‚Melanose‘.“6

„Was für ´ne Nose?“, kam es im Chor aus beider Münder.

„Melanose, also eine schwarze Nose. Mein Gast hatte zwar eine dunklere Nase, aber keine schwarze. Dies sei bei diesem Badegast keine Krankheit, sondern eine Folge des Weinsaufens und des ausgiebigen falschen Essens im Badezuber, meinte der Doktor. Sprachs, hielt die Hand für einen Obolus auf und verschwand wieder. Nun blieb alles wieder einmal an mir hängen. Und so holte ich meinen Kunden mit einen Druck auf den Magen ins Leben zurück. Dabei ließ ich ihn seinen Atem ausfahren, einmal nach oben und einmal nach hinten. Dann wachte er auf. Aber die Kosten für die Lebensrettung nebst Obolus für den Quacksalber von Doktor musste er natürlich an mich bezahlen.“

Schallendes Gelächter machte sich auf dem Markte der Neustadt breit. Dann flog die Geschichte mit Orkangeschwindigkeit von Stand zu Stand. Dafür sorgte Schneiderin Selma Eule.

Neustädter Markt um 1850 - zeitgenössische Illustration
Neustädter Markt um 1850 – zeitgenössische Illustration

Anmerkungen des Autors

1 An dieser Stelle stand später das Hotel Kronprinz und links daneben das Neustädter Rathaus. Beides 1945 zerstört.
2 Von mittelhochdeutsch badaere; Besitzer einer Badestube, der die Badenden bediente, sie zur Ader ließ, schröpfte und ihre Haare pflegte; im Mittelalter der Arzt der kleinen Leute.
3 heute: Blockhaus
3 Sächsische Dorfzeitung vom 30. März 1839
4 Von mittelhochdeutsch badaere; Besitzer einer Badestube, der die Badenden bediente, sie zur Ader ließ, schröpfte und ihre Haare pflegte; im Mittelalter der Arzt der kleinen Leute.
5 frech, unverschämt
6 Vermehrte Einlagerung des schwarzbraunen Pigments Melanin in die (Schleim-)haut oder an anderen Körperstellen, wodurch diese sich verdunkeln.


Unter der Rubrik “Vor 100 Jahren” veröffentlichen wir in loser Reihenfolge Anekdoten aus dem Leben, Handeln und Denken von Uroma und Uropa. Dafür durchstöbert der Dresdner Schriftsteller und Journalist Heinz Kulb die Zeitungsarchive in der Sächsischen Landes- und Universitätsbibliothek. Der vorliegende Text ist literarischer Natur. Grundlage bilden die recherchierten Fakten, die er mit fiktionalen Einflüssen verwebt.

Ein Kommentar

  1. Köstlich, und gerne mehr davon.

    Ich liebe, diese nach heutigen Maßstäben gestelzte Ausdrucksweise. Nach meinem dafür halten ist sie sehr bildhaft, respektvoll und wenn ehrlich, so doch nicht verletzend wie der, einem heutzutage oft hingeworfene verbale Schnodder.

    Danke

Kommentare sind geschlossen.