Die Tieckstraße ist Schnee von gestern. Um genauer zu sein ist sie grauer Novemberregen des vergangenen Jahres. Da fuhr ich die Tieckstraße das erste mal entlang. Es war Nacht und kalt, aber die Straßenlaternen brannten gelb, von Koronen kristallener Luft umstrahlt wie die Kerzen auf einer langen schwarzen Tafel. Düstere Romantik.
Was dieser Ludwig Tieck bedeutete, würden mir die Bücher aus der SLUB auf dem heimischen Schreibtisch verraten. Ludwig Tieck, sagten sie, war so etwas wie der Superstar der Romantik. Mit seinen Kunstmärchen Bahnbereiter für Novalis und Eichendorff, engagierter Hofdramaturg und Dichter. Aus ganz Deutschland strömten die Gäste zu seinen dramatischen Vorlesungen. Der „König der Romantik“ verlieh derselben als erster das Zauberhafte und Schauerliche.
Während seiner intensiven Schaffensperiode zwischen 1819 und 1841 in Dresden schrieb er kunstvolle Novellen. Er verkehrte mit Körner, Schiller, Schlegel, Fichte und Goethe. Ein Genius, der vom trivialen Publikum geschmäht und intrigiert wurde. Ach ja, Dresden.
Wahnsinnstype. Ich lieh mehr Bücher aus. Die nächtlichen Bilder waren unscharf geworden. Ich schrieb einen anderen Artikel. Ich lieh noch mehr Bücher aus. Ich legte sie in die Schublade. Im Park blühten die Krokusse. Es wurde Juli. Ich wühlte aus meinem Bücherregal den ‚Blonden Eckbert‘ und ‚Das Runenschloss‘ hervor. Die eingekringelten Wörter und Notizen am Rand verrieten: Ich hatte beides bereits gelesen. Den runden Buchstaben nach schätzungsweise elfte Klasse. Wie konnte mir der tolle Tieck nur so entfallen? Das Lied des Vogels der alten Frau:
Waldeinsamkeit
Die mich erfreut,
So morgen wie heut
In ew’ger Zeit,
O wie mich freut
Waldeinsamkeit
Ludwig Tieck – ein in Dresden Verkannter, Unterschätzter. Gepiesakt von Widersachern, enttäuscht von einem Theater, das seinen Sinn für Kunst verlor. Ein Seilerssohn, der seine Liebe für Poesie entdeckte und gemeinsam mit seiner Tochter Dorothea Shakespeare übersetzte.
Ich fahre die Tieckstraße entlang. Sie liegt weit fort von Tiecks eigentlichem Wirkungsort: seinem Wohnhaus, das allabendlich als Salon diente an der Ecke Altmarkt / Kreuzkirche. Es ist Juli, es regnet. Die Glätte der schwarz-grauen modernen Fassade am Ende zur Lessingstraße hin schmückt ein sommerlicher Balkon. Ist das schon Romantik?
Gründerzeithäuser mit gezwiebelten Türmchen waschen ihre Schuppen im Regenwasser. Ein grüner Zaun versperrt unschmuck die Sicht auf das Berufliche Schulzentrum für Wirtschaft. Dann geht es in labendere Gefilde. Aus der Tür des Libanesen duftet es nach Massaka, die Schilder der Weinzentrale neben den noch verschlossenen Türen versprechen einen seligen Abend. Um die Ecke biegt ein Blonder, der könnte Bert heißen.
Im Jahr 1999 wurde ein Asteroid nach dem Dichter benannt, 1873 die Tieckstraße – 20 Jahre nach Tiecks Tod, der ihn in Berlin nach drei Jahren der Bettlägerigkeit und etlichen Schlaganfällen ereilte. Tragisch-romantisch.
Ich biege mit dem Rad ab Richtung Hauptstraße, gen Kügelgenhaus. Dieser Tieck ist nicht zu fassen!
Die Tieckstraße
- Die Straße auf dem Stadtplan von dresden.de
„Während seiner intensiven Schaffensperiode zwischen 1819 und 1841 in Dresden schrieb er kunstvolle Novellen, verkehrte mit Körner, Schiller, Schlegel, Fichte und Goethe.“
Theodor Körner ist in den Befreiungskriegen gegen die napoleonische Besatzung gefallen, das war deutlich vor 1819…
(Passend dazu das Denkmal am Körnerweg, schätzungsweise 2000 m Luftlinie von der Tieckstrasse ;-)
Gemeint ist Theodor Körners Vater Christian Gottfried Körner.
Danke für den super Artikel – Philine könnte sicher auch helfen, frischen Wind in das Museum für Frühromantik im Kügelgenhaus zu bringen.
Und war nicht auf der Tieckstraße mal die „Zöllnerklause“ und auch ein bißchen mehr Szene-Leben?
Ja. Das „ZK“ befand sich dort in der Nummer 9. Außerdem gab es im Tieck 17 mal einen Jugendtreff.
Die Philine kann’s richtig gut…