Anzeige

Nina Chuba • 03.07.26 • Rudolf-Harbig-Stadion

Wo lebt es sich besser?

Egon Flache verließ seine Wohnung am Obergraben und nutzte diesen Vormittag im September 1907, um seinen Kopf zu lüften. Als Redakteur der Dresdner Neuesten Nachrichten (DNN) wurde er in den letzten Wochen über Gebühr von seinem Chef getriezt.

Ein Termin jagte den anderen. Ein Artikel über den Besuch des Großherzogs von Baden hier in der Residenz, ein Bericht über die Jahrestagung des Bundes Deutscher Architekten im Brühlschen Festsaal der gerade erst fertiggestellten Königlichen Kunstgewerbeschule an der Ecke Gerok- und Eliasstraße und dann die fast täglichen Informationen über den Fortgang des Baus des neuen Rathauses. Dies alles für sich genommen erforderte viel Zeit.

Dazu kamen noch die sogenannten bla, bla Seitenfüller. Das hieß, kleine Schnipsel über dies und das, wie eine abendliche Veranstaltung der Jugendhilfe oder dass die Eheleute Klempnermeister Deichsler schon 25 Jahre in ein und derselben Mietswohnung leben. Nun war seine geistige Aufnahmefähigkeit erschöpft.

Blockhausgässchen um die Jahrhundertwende
Blockhausgässchen um die Jahrhundertwende

Schreibblockade

Deshalb gönnte er sich an diesem herrlichen Altweibersommertag eine Auszeit und spazierte über den Neustädter Markt durch die Blockhausgasse zum Elbufer. Hinter den Häusern bog er rechts ab. Gerade atmete er die laue Luft genießerisch ein und dachte an nichts Schlechtes, als er fast mit seinem Kumpel Franz Walter Tropp, seines Zeichens Referendar an einer Grundschule, zusammenstieß.

Anzeige

Bambina Pasta Kurs

Anzeige

Blitzumzug

Anzeige

Villandry

Anzeige

Societaetstheater

Anzeige

tranquillo

Anzeige

Blaue Fabrik

Anzeige

Kreuzretter für die Rückengesundheit

Anzeige

Alternatives Akustikkollektiv

Anzeige

Schramm Möbelmanufaktur

„Egon, welche Überraschung. Dich hätte ich um diese Zeit und mitten in der Woche hier nicht erwartet.“

Egons Gesicht verkrampfte sich zu einer säuerlichen Grimasse. Er suchte Ruhe und begegnete einem seiner exzentrischen Freunde. Franz Walter plapperte weiter, ohne eine Antwort von Egon zu erwarten, wechselte vom Wetter zu seinen frechen Schülern, monierte sich über den arroganten, mit Monokel ausgestatteten neuen Schulleiter und schwärmte über die jungen Lehrerinnen in der benachbarten Mädchenschule.

Ein Bier in Ehren

Inzwischen waren sie am Biergarten des Polnischen Brauhauses¹ angelangt und Egon konnte sich dem Drängen seines Freundes nicht erwehren, diesen Garten aufzusuchen und sich ein Vormittagshelles zu gönnen.

Der Herr Redakteur fügte sich ins Unvermeidliche. Als er bei einer Atempause von Franz schnell die Initiative ergriff und ihm von seiner Schreibblockade für einen Artikel erzählte, wurde aus dem Plappermaul ein nachdenklicher Freund.

Anzeige

Schramm Möbelmanufaktur

Anzeige

Kieferorthopädie

Anzeige

Alternatives Akustikkollektiv

Anzeige

Kieferorthopädie

Anzeige

Bambina Pasta Kurs

„Weißt du, Egon, ich hatte in den letzten Ferienwochen viel mit Besuchern unserer Stadt zu tun und fragte sie aus über ihr Woher und Wohin. Wenn ich schon nicht nach Rom oder Paris oder Stockholm mangels nötigem Kleingeld reisen kann, so möchte ich doch viel über die Reiseerfahrungen anderer wissen.“

Als würde ein Licht angehen, öffneten sich im Gehirn des Redakteurs mehrere Schubladen und die Schreibblockade löste sich in einer bunten Wolke vieler Ideen auf. Sie tranken noch ein Bier und Egon durchlöcherte Franz Walter mit seinen Fragen, und in seinem Kopf fügten sich die Worte für einen unterhaltsamen Artikel für die Sonntagsausgabe zusammen.

Das Restaurant "Polnisches Brauhaus" in der Großen Meißner Gasse 9 - Foto von 1910
Das Restaurant „Polnisches Brauhaus“ in der Großen Meißner Gasse 9 – Foto von 1910

Der Artikel

Diesen erstellte Egon Flache als ein fiktives Interview mit der Überschrift „Wo lebt es sich im Jahre 1907 besser?“² zusammen.

  1. Wo findet man a) die bequemsten Eisenbahnwagen? (in Russland), b) die am saubersten gehaltenen? (in den Schnellzügen Schwedens, wo auch Spucknäpfe in jedem Abteil vorhanden sind), c) die ruhigste Abwicklung des noch so starken Personenverkehrs? (in England, speziell in London). Wo gibt es die besten Eisenbahnbuffets? (auch in Schweden).
  2. Wo findet man die komfortabelsten Dampfschiffe für große Seereisen?
    (in England und Deutschland).
  3. Wo findet man die besten Hotels mit mäßigen Preisen?
    (in der Schweiz)
  4. Wo befinden sich die behaglichsten Restaurants und Cafés mit zivilen Preisen?
    (in Kopenhagen und Stockholm)
  5. Wo findet man die angenehmsten Automatenrestaurants?
    (in Stockholm)
  6. Wo findet man das reichlichste und mannigfaltigste servierte Frühstück mit mäßigem Preis?
    (in der Schweiz)
  7. Wo trinkt man den besten und in Anbetracht der Quantität auch billigsten Kaffee?
    (in Kopenhagen)
  8. Wo findet man die besten und billigsten Diner, einschließlich Wein?
    (in Paris)
  9. Wo findet man die freigiebigste Gratiszugabe von Brot in Restaurants?
    (in Paris und in den Automatenrestaurants in Stockholm)
  10. Wo findet man die besten vegetarischen Speisehäuser mit mäßigen Preisen?
    (in Berlin und München)
  11. Wo findet man die einladendsten Milchtrinkstuben?
    (in den größeren Städten Hollands)
  12. Wo findet man in den Cafés die meisten in- und ausländischen Zeitungen?
    (in Wien und Berlin)
  13. Wo findet man a) die aufmerksamsten Kellner? (in Wien) und b) die am leichtesten zufriedenzustellenden Kellner in Bezug auf Trinkgelder? (in Italien)
  14. Wo findet man die best-eingerichteten und saubersten Badeanstalten?
    (in Deutschland, Wien und in Schweden)
  15. Wo findet man die hübschesten Barbierstuben?
    (in Italien)
  16. Wo findet man a) die anspruchsvollsten Hausdiener? (in Deutschland und in der Schweiz) und b) die anspruchslosesten? (in Italien)
  17. Wo findet man die intensivste Straßenreinigung?
    (in Berlin)
  18. Wo sind die am ordentlichsten gehaltenen Bedürfnisanstalten?
    (auch in Berlin)
  19. Wo findet man die meisten Hunde auf der Straße?
    (in Konstantinopel und München)
  20. Wo die a) meisten Hunde in öffentlichen Lokalen? (in München) und wo b) die wenigsten? (in Wien)
  21. Wo findet man die beste, den Fußgängern und Wagenführern gefälligste und hilfsbereiteste Straßenpolizei?
    (in England und da besonders in London)
  22. Wo hat man in öffentlichen Parkanlagen die wenigsten Verbote und Einschränkungen der Bewegungsfreiheit?
    (in London)
  23. Wo ist die Haltung der Bevölkerung a) am ruhigsten und anständigsten? (in Stockholm) und b) wo das Gegenteil?
    (in Italien, am lebhaftesten, ausgelassensten und ungeniertesten in Neapel)
  24. Wo findet man die artigsten, bescheidensten Kinder und jungen Burschen, insbesondere in den unteren Volksschichten? (in Skandinavien) und wo die unerzogenste und frechste Jugend?
    (in Italien)
  25. Wo findet man als Fremder in den öffentlichen Lokalen bei den dortigen Zivilisten und Offizieren wohlwollende Aufnahme, angenehme Unterhaltung und Zuneigung? (in Italien) und wo die wenigste?
    (in Deutschland)
  26. Wo ist man in der Bevölkerung am unfreundlichsten gegenüber Fremden?
    (in Holland und der Schweiz)
  27. Wo findet man die sowohl auf schlanken Wuchs als auch zugleich auf feine Gesichtszüge bezogene hübscheste männliche Jugend?
    (in Italien und Schweden)
  28. Wo befindet sich der hinsichtlich Natur und Kunst schönste und genussreichste Fremdenvereinigungspunkt?
    (in Monte Carlo)
  29. Wo findet man einen Ort in Europa, wo man als Gesunder oder Kranker dem Winter aus dem Weg gehen kann?
    (nirgends)

Leider konnte Egon Flache diesen Artikel bei seiner DNN nicht unterbringen, aber unter Pseudonym im Dresdner Salonblatt.

Dresdner Salonblatt von 1907
Dresdner Salonblatt von 1907

Anmerkungen

¹ hinter dem Gebäude Große Meißner Gasse 9
² Dresdner Salonblatt Nr. 1, 1907

Ergänzungen gern, aber bitte recht freundlich.

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert