Anzeige

Piraten

Der Bierkrieg zu Dresden

Heinrich Schürer war sauer. Stinksauer. Er konnte sich an diesem Lichtmesstag des Jahres 1840 nicht beruhigen. Als seine Gattin Gertrude ihm einen frisch gebrühten Melissen-Tee zur Entspannung seiner arg strapazierten Nerven kredenzen wollte, ging er ab wie ein Feuerwerk bei Hofe zu Königs Geburtstag.

Waldschlösschen-Brauerei um 1856.
Waldschlösschen-Brauerei um 1856.

Sein Gesicht färbte sich puterrot und er sprang so abrupt auf, dass der Stuhl umkippte. Gertrude konnte gerade noch das Tablett mit Kanne und Tasse zur Seite drehen. Wortlos, mit finsterstem Blick verließ sie das Zimmer.

Was ihr Gatte, der Wein- und Branntweinhändler jetzt brauchte, war ein kräftiger Schluck aus einer Flasche neuartigem Branntwein. Diesen hatte er von seinem Freund, den Wilthener Ackerbürger Christian Traugott Hünlich, der mit verschiedensten Kräutern und Beeren experimentierte. Dieser Tropfen aus dieser Flasche, der einem milden französischem Kognak gleich kam, ließ die innere Wut, aber nicht den Rachegedanken abklingen.

Ein Brief als Kampfansage

Die Ursache des Ärgers lag in einem Schreiben der Societätsbrauerei Waldschlößchen. Darin enthalten war die Antwort des Direktors Portius auf seine Anfrage zur Aufnahme von Weinbränden in das Angebotssortiment des Restaurants. Nicht der abschlägige Bescheid an sich ärgerte ihn, sondern die Art und Weise der Wortwahl. So sollten seine Spirituosen angeblich die Gäste innerlich verbrennen lassen, furchtbar schmecken und wohl aus minderwertigen Kräutern und Getreide hergestellt sein.

Anzeige

Zaffaran, bring Würze in dein Leben

Anzeige

Julia Hartl - SPD

Anzeige

tranquillo

Anzeige

Wohnungen statt Leerstand

Anzeige

Jazzophil

Anzeige

Societaetstheater

Anzeige

Archiv der Avantgarden in den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden

Anzeige

Akustikkollektiv Feministisch

Anzeige

Blitzumzug

Schürer schlug zurück

Zunächst mobilisierte er seine Freunde und Bekannten, das Waldschlößchen aufzusuchen und dort das selbst gebraute Bier zu kritisieren. Aber diese Aktion hatte nur geringe Wirkung.

Dann fiel Heinrich Schürer ein, dass es ein recht wirksames Mittel gäbe, mit dem man diesem arroganten Direktorium kräftig auf die Füße treten konnte. Ein Mittel mit hoher Reichweite und großer Wirksamkeit – die Zeitung.

Dresdner Wochenblatt für vaterländische Interessen im Jahre 1840
Dresdner Wochenblatt für vaterländische Interessen im Jahre 1840

Und so schrieb er unter Pseudonym einen Artikel, mit dem er den Herren Brauereibesitzern gehörig den Hintern brennen lassen konnte. So hatten seine Kontakte zur hiesigen Presse ihr Gutes. Dabei passte er natürlich auf, dass er rechtlich nicht belangt werden konnte. Deshalb wimmelte es von Konjunktiven unter dem Titel „Wahr oder nicht?“1

Zunächst warnte er die werte Leserschar vor dem Genuss des Waldschlößchenbieres. Der bittere Geschmack könne vom Hopfen herrühren. Weiter hieß es im Leserbrief:

Anzeige

Wohnungen statt Leerstand

Anzeige

Akustikkollektiv Feministisch

Anzeige

Julia Hartl - SPD

„… dass der Genuss dieses Bieres früher oder später den empfindlichsten und schädlichsten Einfluss auf die Gesundheit ausübe. Schmächtige oder hagere Personen erlägen der Auszehrung2 und die von starker Leibesbeschaffenheit würden vom Schlagfluss3 ereilt. Außerdem greife es bedeutend die Gehirnnerven an, schwäche merklich die Denkkraft und verursache Stumpfsinn4 und Dummheit.“

Diese Nachteile sollen übrigens, so der anonyme Schreiberling, nicht erst die Folge zu vieler Töpfchen Bier im Allgemeinen, sondern des Genusses dieses speziellen Bieres sein. Schürer freute sich über die sich rasch verbreitenden Diskussionen unter den Bürgern der Stadt und den Rückgang der Gästeschar im Waldschlößchen. Wer wollte schon an Auszehrung, Schlagfluss oder Stumpfsinn leiden.

Brauereigebäude am Waldschlößchen um 1836
Brauereigebäude am Waldschlößchen um 1836

Die Reaktion

Ganz anders reagierte man im Direktorium der Waldschlößchen Brauerei. Das Triumvirat der Herren Rachel, Jordan und Portius schäumte vor Wut ob dieser Unverschämtheiten. Als erstes wollte man vom Herrn Redakteur des Wochenblattes wissen, wer der Schreiberling dieser Hetzschrift wäre. Als ihnen dies verweigert wurde, kündigten sie an, keine Anzeigen mehr in diesem Blatt zu inserieren. Das saß. Beim Geld hörte bekanntlich fast jeder gute Wille auf.

Und so veröffentlichte man einige Tage später die Antwort an den anonymen Schreiber des verleumderischen Artikels:

„Dem in Nr. 13 dieser Blätter befindlichem Inserate, überschrieben mit ‚Wahr oder nicht?‘, begegnen die Unterzeichneten durch die auf vollkommener Wahrheit beruhende Erklärung, dass das Lagerbier der Societätsbrauerei zum Waldschlößchen einzig und allein aus sehr sorgfältig gemälzter Gerste und neuem Hopfen von bester Qualität gebraut wird.

Dresden, den 18. Februar 1840
Die Direktoren der Societätsbrauerei Rachel, Jordan, Portius“5

Da nachweislich keine der in dem anonymen Schreiben erwähnten Gebrechen aufgetreten waren, verpuffte der Bierkrieg, ehe er richtig begann, im Verbalen. Am Ende hatte Schürer nicht erreichen können, dass seine Branntweine im Waldschlößchen auf die Getränkekarte kamen. Aber sein Freund Christian Traugott Hünlich gründete zwei Jahre später in Wilthen seine eigene Branntweinfirma, die alsbald zu Weltruhm gelangte und mit internationalen Auszeichnungen überhäuft wurde.6

Anmerkungen des Autors

1 Dresdner Wochenblatt für vaterländische Interessen vom 12. Februar 1840.
2 Auszehrung, auch Schwindsucht genannt, ist eine alte Bezeichnung für Abmagerung, die häufig auf Tuberkulose oder Krebs zurückgeführt wurde.
3 alte Bezeichnung für Hirnschlag, Schlaganfall
4 alte Bezeichnung für Demenz
5 Dresdner Wochenblatt für vaterländische Interessen vom 19. Februar 1840
6 Gibt’s noch heute www.wilthener-weinbrand.de, allerdings auch im aktuellen Paulaner Brauhaus am Waldschlößchen findet sich der Weinbrand nicht auf der Karte.


Unter der Rubrik “Vor 100 Jahren” veröffentlichen wir in loser Reihenfolge Anekdoten aus dem Leben, Handeln und Denken von Uroma und Uropa. Dafür durchstöbert der Dresdner Schriftsteller und Journalist Heinz Kulb die Zeitungsarchive in der Sächsischen Landes- und Universitätsbibliothek. Der vorliegende Text ist literarischer Natur. Grundlage bilden die recherchierten Fakten, die er mit fiktionalen Einflüssen verwebt.