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Der Deutsche Rote Oktober in Dresden (Teil 1)

„Prost Genossen“, rief Paul Schrader im Hinterzimmer der vorwiegend von den Kommunisten im Hechtviertel genutzten Kneipe „Zum Rosental“ auf der Hechtstraße 55. „Der heutige 10. Oktober 1923 wird in die Geschichte eingehen als der Tag, an dem aus dem verruchten kapitalistischen Deutschland endlich ein Sowjetdeutschland hervorgehen wird. Es lebe unsere sächsische sozialistische Regierung aus KPD und SPD.1

Die Hechtstraße vor rund 100 Jahren, zeitgenössische Postkarte
Die Hechtstraße vor rund 100 Jahren, zeitgenössische Postkarte

„Es lebe unsere Proletarische Hundertschaft2, damit schlagen wir die Faschisten und Ultrarechten aus Bayern.“3 Beifall erscholl sowie Hochrufe auf die Brüder in Sowjetrussland. Mit den Gläsern wurde auf den Tischen getrommelt. Und am Tresen sorgte der Wirt Arthur Klügel für Nachschub. Reden und diskutieren mache bekanntlich durstig und fülle in diesen schweren Zeiten zudem die Kasse. Revolution hin oder her. Vom Quatschen allein kann man nicht leben.

Die SPD-KPD-Regierung in Sachsen

Am 5. Oktober fasste die Zentrale der KPD in Berlin den Beschluss, in Sachsen und Thüringen in die SPD-Regierungen einzutreten, um den Faschisten um Hitler aus Bayern den Weg nach Berlin, zu versperren, wie es in einer Pressemitteilung hieß. Dabei sollen die Differenzen mit der SPD zurückgestellt werden.4 Nicht gesagt wurde, dass die KPD um ihren Vorsitzenden Heinrich Brandler einem hohen Druck aus Moskau ausgesetzt war. Das Politbüro der KP Russlands entschied schon am 23. August 1923, Stalin war seit Kurzem Generalsekretär und Lenin konnte sich nach einem Schlaganfall nicht mehr verständigen, eine geheime Gruppe nach Berlin zu entsenden, die eine deutsche Revolution in Gang setzen sollte5.

Dresdner Nachrichten vom Oktober 2023
Dresdner Nachrichten vom Oktober 2023

Seit September trafen sich im Geheimen Vertreter der KPD und der SPD in Dresden. Für den bewaffneten Kampf wurden, trotz bestehendem Ausnahmezustand, gemeinsame Proletarische Hundertschaften gebildet. Am 10. Oktober 1923 erblickte dann das erste rot-rote Regierungsprojekt das Licht der Öffentlichkeit. Ministerpräsident wurde der Sozialdemokrat Dr. Erich Zeigner6. Die KPD erhielt das Finanz- und das Wirtschaftsministerium.

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Der KPD-Vorsitzende Heinrich Brandler aus Berlin übernahm als Ministerialdirektor die Staatskanzlei, eine wichtige Schaltstelle im Regierungsgefüge.1 Die Kommunisten hatten aber nicht durchsetzen können, das Innenministerium und damit die Befehlsgewalt über die sächsische Polizei zu erhalten.

Soziale Niedergänge

Den euphorisch in der Kneipe „Zum Rosental“ feiernden Kommunisten war durchaus bewusst, dass ihre Aktivitäten in eine Zeit des sozialen Niedergangs fiel. Sie nutzten dies für ihre Propaganda, wonach ein Sowjet-Sachsen Schluss mache mit den Folgen der kapitalistischen Misswirtschaft, des Versailler Vertrages und der Inflation. Schluss mache mit Hunger, Arbeitslosigkeit und Massenverelendung. Die Erwerbslosigkeit in Dresden war in kürzester Zeit auf 36.000 geklettert.

Und Besserung sei nicht in Sicht, so der öffentliche „Arbeitsnachweis“ in seinem Bericht vom 5. Oktober.7 Das 1.900-Gramm-Brot kostete mittlerweile 23 Millionen Mark, der Liter Milch war für 8,6 Millionen zu haben. Das Pfund Zucker kostete 32 Millionen und für einen einfache Straßenbahnfahrt musste man 15 Millionen hinblättern. Eine Briefmarke im Ortsverkehr kostete seit dem 10. Oktober 3 Millionen Mark. Für einen US-Dollar musste man am 11. Oktober 1923 2,975 Milliarden Papiermark zahlen.4 Die Löhne und Gehälter hielten mit der inzwischen rasenden Inflation nicht mit. Die Ersparnisse der kleinen Leute, Arbeiter, Gewerbetreibende, Lehrer, Rentner, zerstoben im Wind. Ein ganzes Volk verarmte.

Es wird ernst

Und im „Rosental“ erhob Paul Schrader die Faust und nahm wieder das Wort. „Auch wenn die rechte Reaktion in Berlin unsere ‚Rote Fahne‘ zum wiederholten Mal verboten hat, wird die sächsische Arbeiterschaft die Fesseln der Militärdiktatur infolge des Ausnahmezustandes zerreißen. Deshalb werden wir zum Generalstreik rüsten.“8 Die Menschen im hinteren Bereich der Kneipe tobten.

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Der Schlossergehilfe Ewald Zickler, der als einer der wenigen hier im Raum noch Arbeit hatte, griff euphorisch der vorbei laufenden Kellnerin Else an den Hintern. Das mochte diese aber gar nicht. „So weit geht die Gleichheit für euch Kommunisten aber nicht. Zumindest nicht bei mir. Also nimm deinen Griffel von meinem Arsch“, rotzte sie ihn finster blickend an und goss ein Glas Bier in seine Gusche. Ewald schaute bedeppert drein und wischte sich das klebrige Gesöff aus dem Gesicht. Seine Genossen ringsum lachten.

Fortsetzung folgt.

Anmerkungen des Autors

1 Siehe Dresdner Nachrichten vom 12. Oktober 1923
2 Kampfverbände aus Kommunisten und linken Sozialdemokraten, die 1923 eine Revolution in Deutschland herbeiführen sollten mit dem Ziel einer Sowjetherrschaft. Siehe Richard Sturm „Kampf um die Republik 1919 bis 1923“, Bundeszentrale für politische Bildung, 23. Dezember 2011 und Iring Fetscher „Die vergessene deutsche Oktoberrevolution 1923“ in „Jahrbuch für historische Kommunismusforschung“ der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, Berlin 2004.
3 Es war ein geplanter Putschversuch rechtsextremer, völkisch-nationaler Kräfte um den Juristen Gustav von Kahr. Der Putschversuch der NSDAP von Adolf Hitler und Erich Ludendorf erfolgte erst am 8. und 9. November 1923 in München und sollte (wie deren italienisches Vorbild von Mussolini) in einen Marsch nach Berlin münden. Siehe dazu u.a. Ernst Nolte „Die Weimarer Republik – Demokratie zwischen Lenin und Hitler“, München 2006.
4 Dresdner Nachrichten vom 6. Oktober 1923
5 Siehe Sturm und Fetscher
6 Das berufliche Schulzentrum auf der Tieckstraße trägt den Namen des Politikers.
7 Dresdner Nachrichten vom 7. Oktober 1923. Die Arbeitsämter wurden damals „Arbeitsnachweis“ genannt.
8 Dresdner Nachrichten vom 9. Oktober 1923


Unter der Rubrik „Vor 100 Jahren“ veröffentlichen wir in loser Reihenfolge Anekdoten aus dem Leben, Handeln und Denken von Uroma und Uropa. Dafür durchstöbert der Dresdner Schriftsteller und Journalist Heinz Kulb die Zeitungsarchive in der Sächsischen Landes- und Universitätsbibliothek. Der vorliegende Text ist literarischer Natur. Grundlage bilden die recherchierten Fakten, die er mit fiktionalen Einflüssen verwebt.

3 Kommentare

  1. Keine Ergänzung,- ein Dankeschön für den Artikel! Auch hier sind die Paralelen zu heute zu erkennen und ich hoffe so sehr, daß ich mit meiner Meinung- Geschichte wiederholt sich NICHT Recht behalte…

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