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„Ist das schön hier. Die Sonne scheint, der Kaffee ist keine Blärre und die Eierschecke lecker. Was will man mehr“, rief euphorisch mit hocherhobenen Händen und lachend Erna Schwuppke, Ehefrau eines Hoteliers aus der Bautzner Straße. „Nu, nu“, reagierte die Beamtengattin Martha Kruska darauf.

Narrenhäusel an der Elbe  - zeitgenössische Postkarte
Narrenhäusel an der Elbe – zeitgenössische Postkarte

Die anderen beiden Damen am Tisch auf der Terrasse des Narrenhäusls am Neustädter Aufgang zur Augustusbrücke prosteten ihr mit der Kaffeetasse zu. Jeden Sonntag treffen sich die vier Freundinnen dort. Und diese anderen beiden Damen sind die Frau Schneidermeister Frieda Lempke aus der Königstraße und die kunterbunte Lebedame Adele Lampel, ihres Zeichens Schauspielerin am Alberttheater.

Die Rocklängenmoralisten

„Sag mal Adele, ist dein Rock nicht ein wenig zu kurz? Ich weiß, dass du dir aus irgendwelchen Vorschriften nichts machst. Aber gewagt ist gewagt“, meinte spitz die Frau Schneidermeister, dabei auf das Beinkleid der Schauspielerin zeigend. „Nu, nu“, kam als Reaktion von Martha.
„Was soll der Quark, Frieda.“

„Das ist kein Quark. Ich habe in der Zeitung gelesen, dass in Budapest ein Frauenkongress den ungarischen Innenminister aufgefordert habe, der Polizei Frauen zuzuteilen, die die Länge der Röcke und die Tiefe der Dekolletés mit besonderen Messstäben nachmessen sollten.“1 „Nuuu“, bemerkte die Frau Stadtbeamte.

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Frieda legte nach. „Lässt der Rock nämlich mehr als 25 Zentimeter vom Bein frei, dann sollten diese Damen wegen Vergehens gegen die öffentliche Sittlichkeit angeklagt werden. Und auch wenn das Dekolleté zu tief geraten ist, dann wird die Dame bestraft. Aber das Verrückteste kommt noch. Männer, die mit solchen Damen verkehren, sollten boykottiert werden.“ Mit „nu, nu“, reagierte Martha.

Dresdner Neueste Nachrichten vom 14. Mai 1921
Dresdner Neueste Nachrichten vom 14. Mai 1921

Adele brach in schallendes Gelächter aus. „Womit will man die Männer denn boykottieren? Mit Frauenverbot? Augen verbinden und Hände in Handschellen legen? Sowas können sich nur irgendwelche verwelkten Fregatten und Männerfeindinnen ausdenken. Die leben noch im Mittelalter.“ „Nuuuu“, antwortete Martha.

„Deshalb schaute ich auf deinen Rock, liebste Adele“, schmunzelte Frieda. „Wenn ich die letzte Zeit die Mode betrachte, dann wandert peu á peu der Rocksaum in Richtung Knie und bald kann man wohl auch den blanken Hintern sehen“. Alles lachte und Erna bestellte eine Flasche badischen Weißwein, dazu eine Karaffe Wasser zum Strecken.

Bettelnde Kinder

Unbemerkt näherte sich ein etwa zehnjähriges Mädchen dem Tisch der vier Damen. Es passte genau den Augenblick ab, wo der Kellner nicht zu sehen war. „Haben Sie etwas Geld für mich? Ich habe Hunger“, flüsterte die Kleine und streckte ihre Hand vor2. Stille am Tisch. Als einzige reagierte die Beamtengattin. „Nu, nu“, sagte sie nur und holte aus ihrem Portemonnaies einen Hunderter. In diesen inflationären Zeiten Peanuts. Das Mädchen ergriff den Schein und verschwand.

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„Die armen Kinder. Die tun mir so leid“, schnäuzte Frieda in ihr Taschentuch. „Man kann aber nicht allen Kindern was zustecken. Am Ende haben wir selbst nichts mehr.“ „Nu, nu“, erwiderte Martha. Erna schüttelte ihren Kopf. „Es geht aber nicht, die Kinder zum Betteln zu schicken. Die sollen in die Schule gehen und was anständiges lernen. Dann haben sie später auch ein Einkommen.“ „Nuuu“, bemerkte nickend die Frau Stadtbeamte und nippte an ihrem Weinglas.

„Bei mir im Haus wohnt ein Polizeibeamter und der sagte mir, dass sie angehalten seien, das Betteln der Kinder zu unterbinden und deren Eltern zur Rechenschaft zu ziehen, rief Frieda. „Was solls. Die Armut nimmt in diesen Zeiten immer mehr zu. Das merkt man im Hechtviertel. Dort heizen sich die Proleten politisch in Rage und die Männer versaufen die Millionen in den Eckkneipen. Und uns Mittelständlern geht’s auch immer schlechter. Die Inflation frisst unser Geld und die Politik macht nichts für uns“, grummelte Erna. „Nuuuu“, kam es von Martha.

Kirschkerne und Zigarettenstummel

Plötzlich landete ein Kirschkern im Weinglas von Adele. Erschreckt fuhr sie von ihrem Stuhl hoch und sah am Brückengeländer zwei Jungen lachend dahinter verschwinden3. „Ihr Rotzbengel“, drohte sie nach oben. Zum Glück war kaum noch Wein darin. Der Ober brachte ihr ein neues Glas, dass sie mit gestecktem Wein füllte. Alle vier bedeckten ihre Gläser daraufhin mit Bierdeckel.

Dresdner Volkszeitung vom 18. Juni 1923
Dresdner Volkszeitung vom 18. Juni 1923

„Diese Jugend. Keine Achtung mehr vor den Damen. Das ist die Folge der Sittenlosigkeit die die Revolution und mit ihnen die Kommunisten und Sozialdemokraten brachten. Unter dem Kaiser hätte das nicht gegeben.“ „Nu, nu“, kam der Kommentar von Martha. „Es fehlt wieder wer, der Zucht und Ordnung unter die Leute bringt.“

Adele wiegte den Kopf hin und her. „Für eine gewisse Ordnung bin ich schon. Für Zucht weniger. Deshalb bin ich frühzeitig aus meinem Elternhaus und dem züchtenden Vater davon gerannt. Das Leben soll auch Spaß machen.“ „Nuuuu“, kam es zustimmend von der Beamtengattin.
Die Inhalte der Weingläser neigten sich ihrem Ende zu. Noch einmal prosteten sich die vier Freundinnen zu und traten den Heimweg an.

Anmerkungen des Autors

1 Dresdner Neueste Nachrichten vom 14. Mai 1921
2 Dresdner Neueste Nachrichten vom 21. Februar 1923
3 Dresdner Volkszeitung vom 18. Juni 1923
4 der Antonsplatz ist heute überbaut, in etwa zwischen Wallstraße und Marienstraße


Unter der Rubrik “Vor 100 Jahren” veröffentlichen wir in loser Reihenfolge Anekdoten aus dem Leben, Handeln und Denken von Uroma und Uropa. Dafür durchstöbert der Dresdner Schriftsteller und Journalist Heinz Kulb die Zeitungsarchive in der Sächsischen Landes- und Universitätsbibliothek. Der vorliegende Text ist literarischer Natur. Grundlage bilden die recherchierten Fakten, die er mit fiktionalen Einflüssen verwebt.