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Im Zeichen des Altweibersommers

Der Oktober 1912, gülden im Blätterwald und in seiner temperierten Empfindung milde gestimmt, ließ die nicht mehr ganz lebensfrischen Freundinnen Elisa, Adele, Mechthild und Sophie am frühen Nachmittag des 12. jenes Monats wohl gelaunt im Schatten des reitenden August am Dresdner Neustädter Markt zusammenkommen, um gemeinsam das Café Moltke aufzusuchen. Eine ganze Woche haben sie sich nicht sehen, geschweige denn sprechen können.

Café Moltke am Neustädter Markt
Café Moltke am Neustädter Markt

Eine ganze Woche, in der viel geschah, was es zu bereden gab. Und noch mehr gab es an Fantastereien in den Oberstübchen der holden Damen, die der weltlichen Offenbarung harrten.

Bevor die Gruppe jedoch das Moltke erstürmte, zog Adele alle Blicke auf sich. Sie war in ihrer Bekleidung voll im Trend dieses Herbstes1. Elisa konnte nicht anders und befühlte anerkennend den Stoff des Kostüms. „Ich tippe auf Englisch“ und zog fragend die rechte Augenbraue hoch.

„Gut erkannt“, antwortete Adele und erklärte, dass diese bräunlichen und grünlichen Melangetöne sehr aktuell seien und in dieser Oktobersonne herrlich schillerten. Der echt englische Charakter des Kostüms zeige sich darin, so Adele, dass das Jackett hoch geschlossen und etwas länger geschnitten sei. Auch habe sie es in dem Rock bequemer, da die dezenten Falten und die Fußfreiheit ein besseres Schreiten ermöglichten.

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Zum Beweis lief sie wie ein Model im Kaufhaus Renner einige Schritte unterhalb des reitenden August hin und her. Wäre der noch am Leben, hätte er Adele wohl längst in sein Gemach im Schloss entführt, um eine sehr private Modenschau mit An- und vor allem persönlicher Ausziehhilfe zu zelebrieren.

Goldener Reiter am Neustädter Markt - Foto: Tino Plunert
Goldener Reiter am Neustädter Markt – Foto: Tino Plunert

Aber die vier Freundinnen zog es ins Café Moltke. Eine Wolke aus erlesenen Parfüms hinter sich herziehend, betraten sie schnatternd wie eine Gänseschar das Etablissement, bestellten im Vorbeigehen beim wartenden Ober Kaffee mit geliebter Eierschecke und platzierten sich am Ecktisch mit Blick zum Aufgang der Augustusbrücke.

Mechthild, der der Schalk buchstäblich im Nacken saß, konnte sich ein schallendes Lachen nicht verkneifen, als der Kellnerlehrling mit zitternder Hand die klappernde Tasse vor Elisa abstellte, was diesen noch mehr in Verlegenheit brachte und natürlich den Kaffee in die Untertasse schwappen ließ. Hochroten Kopfes lief er zurück, um eine neue Tasse zu bringen.

Das gefiel der sozial eingestellten Sophie ganz und gar nicht. Der Gewitterblick, mit dem sie Mechthild bedachte, war einer Hera würdig.

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Doch Adele entschärfte sofort die Situation, indem sie auf die Zähne von Mechthild wies und meinte, dass man den Charakter der Menschen an selbigen erkennen könne. Das machte neugierig und Sophie entspannte sich. Dazu trug auch bei, dass endlich alle ihren Kaffee und die Eierschecke vor sich hatten.

Wer Zähne zeigt hat eine guten Charakter

„Das habe ich irgendwann mal im Salonblatt2 gelesen. Da hieß es, dass jemand, der beim Lachen leicht den Mund öffne, so dass fast alle Zähne des Oberkiefers und viele vom Unterkiefer zu sehen seien, angeblich von offenem, angenehmem und gutmütigem Charakter sei.“

„Das sieht man an mir“, erwiderte Mechthild, lachte los, erhob sich vom Stuhl und drehte sich, Anerkennung erheischend, nach links und nach rechts.

„Das bezweifle ich“, fuhr Sophie diese an und erinnerte sie dabei an ihr Verhalten dem Kellnerlehrling gegenüber. „Und außerdem sprach Adele von einem ‚leicht geöffneten Mund‘ und nicht von deiner weit aufgerissenen Gusche, wo man noch sehen kann, was du heute Mittag gegessen hast.“ Jetzt war es an Elisa, die Situation zu entschärfen, indem sie Adele bat, in ihren Bemerkungen fortzufahren.

Derweil wurde Kaffee nachgeschenkt

„Wer aber beim Versuch eines Lachens die Lippen zusammenpresst, ist nicht vertrauenswürdig.“ Über alle Gesichter huschte ein Lächeln und keine der Damen presste dabei die Lippen aufeinander. „Es geht noch weiter, meine Lieben. Ich erinnere mich, gelesen zu haben, dass jemand, der seine Zähne ohne wirklichen Grund zeigt, ein Dummkopf ist.“ Diesmal erschallte helles Lachen bei der Viererbande.

Und Mechthild erwiderte, dass sie diesen und jenen kenne, auf die das zuträfe. „Aber Namen will ich nicht nennen“, fügte sie augenzwinkernd hinzu. Das ließ Sophie die Augenbrauen zusammenschieben.

Neustädter Markt mit Goldenem Reiter um 1900
Neustädter Markt mit Goldenem Reiter um 1900

Ehe es aber zum Krach kam, setzte Adele ihre Ausführungen fort und kam lächelnd zum Höhepunkt ihrer Charakterreise. „Wenn sich die letzten Backenzähne berühren, die Zähne nach der Mitte zu aber durch immer weitere Zwischenräume getrennt erscheinen, so steht der Betreffende in seinen geistigen Fähigkeiten unter dem Durchschnitt.“

„Das könnte mein Mann sein“, warf Sophie versöhnlich lächelnd in die erstaunte Runde und die vier Freundinnen lachten herzlich.

Anmerkungen des Autors

1 aus Dresdner Nachrichten vom 1. September 1912
2 aus Dresdner Salonblatt 1907


Unter der Rubrik “Vor 100 Jahren” veröffentlichen wir in loser Reihenfolge Anekdoten aus dem Leben, Handeln und Denken von Uroma und Uropa. Dafür durchstöbert der Dresdner Schriftsteller und Journalist Heinz Kulb die Zeitungsarchive in der Sächsischen Landes- und Universitätsbibliothek. Der vorliegende Text ist literarischer Natur. Grundlage bilden die recherchierten Fakten, die er mit fiktionalen Einflüssen verwebt.