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Der verdeckte Killer (Teil 1)

Die Spanische Grippe in Dresden 1918 bis 1920

Corona hat uns heute im Griff. Das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben steht scheinbar still. Vor 100 Jahren gab es Ähnliches. Es war es die sogenannte Spanische Grippe. Verdeckt wurde diese große Pandemie durch den Ersten Weltkrieg. Zwischen 25 und 50 Millionen Todesopfer forderte sie weltweit, mehr als der Erste Weltkrieg mit seinen 17 Millionen Toten.

In drei Wellen suchte diese Grippe Europa, Deutschland und Dresden heim. In mehreren Folgen möchte ich die Wirkungen der Pandemie zwischen Krieg und Revolution, zwischen Hunger und Tanz auf dem Vulkan in den gesellschaftlichen Schichten darstellen. Sie werden staunen, welche Parallelen es zur Pandemie 2020 gibt.

Es ist doch bloß ein Schnupfen

Massenerkrankungen? Was für Massenerkrankungen? Aus Spanien sei eine merkwürdige Krankheit zu uns nach Dresden unterwegs. Erste Fälle sollen bereits in Nürnberger Firmen aufgetreten sein. Dort seien Mitarbeiter plötzlich an Mattigkeit und Fiebererscheinungen erkrankt. In den Dresdner Nachrichten vom 30. Juni 1918 kam der Königliche Bezirksarzt Medizinalrat Dr. Wetzel zu Wort: „Es ist kein Anlass zu ernster Besorgnis vorhanden, da die Krankheit regelmäßig verläuft.“

Einen Tag später schrieb man diese neue Krankheit in Anführungszeichen als „spanische Krankheit“. Das bisschen Schnupfen und Fieber – gab es doch jedes Jahr. Und den einen oder die andere hat es dahingerafft – passierte eben. Heute weiß man, dass diese Epidemie nicht in Spanien entstand, sondern höchstwahrscheinlich in den USA und insbesondere mit den amerikanischen Truppen nach Europa kam.

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Wir verteidigen das Vaterland

So rückten deshalb Berichte über diese merkwürdige „Grippe“ auch in der Dresdner Presse auf die Seiten vier und fünf, meist nach den umfangreiche Werbeseiten oder versteckt unter anderen Informationen.

Den 30. Juni 1918, als zum ersten Mal über diese Krankheit berichtet wurde, bestimmten Artikel aus den Kriegsgebieten in Frankreich, Belgien und Italien das Geschehen. Die Hauptschlagzeilen in den Dresdner Neuesten Nachrichten und den Dresdner Nachrichten: „Englische Anstürme gegen Merris verlustreich zusammengebrochen“ oder „Gescheiterte italienische Gegenoffensive“ oder „194.000 Kriegsgefangene Franzosen und Engländer“. Wer über Krankheiten in den kämpfenden Truppen berichtete, war ein Vaterlandsverräter, Wehrkraftzersetzer und Majestätsbeleidiger. Deshalb wagten es weder die nationalistischen, die konservativen, noch die liberalen und schon gar nicht die sozialdemokratischen Blätter irgendwelche Zahlen zu veröffentlichen.

Aber versteckt erfuhr man doch von anderen Todesursachen, wie „nach kurzer Krankheit im Lazarett verstorben“. Diese Ursache sollten in zunehmenden Maßen bis zum Kriegsende die Anzeigen beherrschen.

Hunger wird in der Presse kleingeredet

Die Versorgungslage hier in Dresden wurde immer prekärer. Die Rationierung von Lebensmitteln begann mit der Ausgabe von Lebensmittelkarten, einzulösen in einem bestimmten Geschäft. Zudem gab es zum Beispiel für Anfang Juli 1918 eine Zuteilung von zwei Eiern pro Person im Haushalt zum gepfefferten Preis von 48 Pfennig pro Stück. Sehr bald gab es Eier nur noch auf Karte, im Oktober 1918 nur ein Ei pro Woche pro Familie. Ein paar Tage später wurde die Zuteilung von Butter zu 50 Prozent durch Margarine ersetzt.

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Gefeiert wird trotzdem

Dafür feierte man im Hof der Feuerwache auf der Louisenstraße in der Neustadt, anlässlich deren 50-jährigen Bestehens, einen Festgottesdienst. „Das stattliche Gebäude dieser Wache (heute noch vorhanden) war reich mit Fahnen und Eichenlaubranken geschmückt“, so in den Dresdner Nachrichten am 1. Juli zu lesen.

„Vor 50 Jahren mit 10 Mann gegründet, bestehe sie heute aus über 300 Mann. … Der Geistliche hob hervor, dass ein berufstreuer Mann ein wahrhaft fröhlicher Mann sei. Wahre Fröhlichkeit wurzele schließlich in einem reinen, frommen Sinne, dessen ein Feuerwehrmann stets bedürfe, denn er müsse stets im Stande sein, dem Tode ins Auge zu schauen.“ Mit dem Gesang des Altniederländischen Dankgebetes fand der Gottesdienst sein Ende. Auf Grund des Krieges gab es tags darauf nur eine kleine weltliche Feier in eben diesem Hof auf der Louisenstraße.

Feuerwache Louisenstraße 1922 - Foto: Archiv Feuerwehr
Feuerwache Louisenstraße 1922 – Foto: Archiv Feuerwehr

Und noch eine Festlichkeit gab es in der Neustadt dieser Tage. Am 1. Juli 1918 wurde der neue Amtshauptmann Friedrich Graf zu Castell-Castell in sein Amt eingeführt. Die Funktion entspricht nicht ganz einem heutigen Landrat, eher wohl einem Verwalter eines Unterbezirkes. Zum Bereich der Amtshauptmannschaft Dresden-Neustadt gehörten die rechtsseitigen Elbgebiete vom heutigen Dresden, also die Gegend von Loschwitz bis Kaditz, die klassische Neustadt und die Albertstadt, Neudorf, Trachau, Trachenberge, Pieschen, dazu die Orte auf der linken Elbseite, wie Blasewitz, Dobritz, Gruna, Laubegast, Seidnitz, Striesen und Tolkewitz (waren damals noch nicht in die Stadt Dresden eingemeindet).

Wie in den Vorkriegszeiten brachte Sarrasani am Carolaplatz ein Juliprogramm der heiteren Art heraus mit Darbietungen wie „Die Posaunen von Jericho“, „Die Wackelpyramide“, „Die bildschöne Kreolin“ und „Der Marmeladenkönig“.

Und heimlich still und leise hatte die „spanische Krankheit“ wie ein unterirdisches Pilzgeflecht (wie Corona heute) in Deutschland Einzug gehalten. Die staatlichen Stellen wiesen aber Gerüchte angeblicher Massenerkrankungen als töricht und frevelhaft zurück. Das Robert Koch-Institut gab es übrigens damals schon. Von dort war zu hören: „Man konnte einwandfrei den Influenza-Bazillus nachweisen.“ Nach deren Meinung „werden ältere Personen (im Gegensatz zu heute 2020) weniger als jüngere von der Krankheit befallen, die nach heftigem Fieber mit Schleimhautreizung innerhalb von zwei bis drei Tagen harmlos verläuft“.

Die Gefahr für die Zivilbevölkerung hält das Institut für gering. „Ein Todesfall sei bisher noch nicht vorgekommen.“ Eine bis Anfang Juli in ganz Europa verbreitete Anschauung. Von einem Virus hatte damals noch nie einer gehört. Man entdeckte ihn erst 1933.

Bis auf ein paar Kleinigkeiten war die Welt zu Beginn des Sommers 1918 in der Dresdner Neustadt also noch in Ordnung. Doch das sollte sich recht bald ändern.

Unter der Rubrik “Vor 100 Jahren” veröffentlichen wir in loser Reihenfolge Anekdoten aus dem Leben, Handeln und Denken von Uroma und Uropa. Dafür hat der Dresdner Schriftsteller und Journalist Heinz Kulb die Zeitungsarchive in der Sächsischen Landes- und Universtätsbibliothek durchstöbert.

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