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Die pensionierte Leiche

Kleider machen Leute. Das gilt heute, galt aber zur Kaiserzeit wohl noch mehr. Wohl jeder kennt den legendären “Hauptmann von Köpenick”. Eine Dresdner Version dieser herrlichen Posse haute das sozialdemokratische Blatt Dresdner Volkszeitung am 28. August 1913 genüsslich den „anständigen kaisertreuen Bürgern“ um die Ohren.

Während die Mutter schon lange in Frieden ruhte, kassierte der Sohn noch immer ihre Witwenbezüge
Während die Mutter schon lange in Frieden ruhte, kassierte der Sohn noch immer ihre Witwenbezüge
Es ging um den 1896 verstorbenen königlich-preußischen Generalmajor a.D. Richard Friedrich Hermann von Strombeck, der sich nach seiner Pensionierung in Dresden niederließ. In der sächsischen Residenz erwarb er sich in den höheren Kreisen hohes Ansehen. Seine Pension wurde von Berlin an die sächsische Staatskasse zur Auszahlung an den hohen Offizier überwiesen. Soweit, so rechtens.

„Als dieser Offizier schon längst in Frieden ruhte, fiel es einer preußischen Pensionszahlstelle auf, dass für eine Landratswitwe von Strombeck keine Pension mehr erhoben (also ausgezahlt) wurde“, so die Zeitung. Lieber spät als nie und Gründlichkeit geht vor Schnelligkeit – das Mahlwerk der deutschen Bürokratie funktionierte.

„Man forschte nach und siehe da, die Witwe war schon viele Jahre tot. Ihr Sohn, der hier erwähnte Herr Generalmajor a.D. von Strombeck, hatte nicht weniger als 27 Jahre (!) lang für die verstorbene Witwe (gemeint ist seine Mutter) zu Unrecht die Pension erhoben. Als die letzte Pension ausgezahlt wurde (im Todesjahr des Sohnes), müsste die Frau eigentlich schon 113 Jahre alt gewesen sein.“

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Natürlich wollte der preußische Fiskus von der sächsischen Staatskasse sein Geld zurückhaben. Von der Wahnsinnssumme von rund 90.000 Mark an ungerechtfertigt ausgezahlter Pension (entspricht heute etwa 465.300 Euro) konnten aber nur noch für die letzten zehn Jahre Kassenbelege aufgefunden werden, da frühere Jahrgänge vernichtet wurden (so das Gesetz). Und so brauchte der sächsische Staat nur noch ein Drittel der Schadenssumme, also 30.000 Mark (etwa 155.100 Euro) nach Preußen zurücküberweisen.

Dieser Betrug war ein schönes Beispiel für den Militärgehorsam zu Kaisers Zeiten. Besagter Generalmajor a.D. ging nämlich stets in Uniform auf eine hiesige Dresdner Sicherheits-Polizei-Wache und ließ sich von den dortigen Beamten, die im Anblick der Uniform stramm standen, bescheinigen, dass seine Mutter noch am Leben sei, ohne dass er selbst einen Beweis erbringen bzw. dass er sie persönlich auf der Wache vorstellen musste. Sein zackiges militärisches Auftreten genügte. Kleider oder Uniformen machen eben Leute.

Bauernopfer gesucht und gefunden

Aber die Posse war noch nicht zu Ende. Natürlich hatte das Ganze für die armen katzbuckelnden Polizei- und Finanzbeamten im Sächsischen Königreich ein Nachspiel. Schließlich wollte der Fiskus seine nach Preußen überwiesenen 30.000 Mark zurück. Diese Beamten, auch die, die sich schon in Pension befanden, wurden zur Erstattung des Schadens herangezogen. Die wehrten sich selbstsagend dagegen.

Man schrieb Petitionen an den König und auch an den Bruder des Generalmajors, an Josef von Strombeck, der Jurist war, für die Zentrumspartei im Reichstag und im Preußischen Abgeordnetenhaus saß und zum Zeitpunkt 1913 im Abgeordnetenhaus die Funktion eines Alterspräsidenten innehatte.

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Der sich anbahnende staatsgefährdende Skandal musste unbedingt vermieden werden. So wurden klammheimlich die Abzüge bei den kleinen Beamten eingestellt. Sie durften bleiben. Ein Bauernopfer wurde aber gebraucht. Das war der Dresdner Polizeipräsident Le Maître, zu dessen Bereich die besagte Polizeiwache gehörte, wo der Fall quasi seinen Ausgang nahm. Er wurde ohne öffentliche Verlautbarung klammheimlich in Pension geschickt.

Aber es gab und gibt immer ungebetene Augen und Ohren. Hier in Gestalt eines allzu neugierigen Redakteurs der Dresdner Volkszeitung. Er rollte den Fall „Le Maître“ von hinten auf und kam auf die hier geschilderte „Köpenickiade von Dresden“.

Unter der Rubrik “Vor 100 Jahren” veröffentlichen wir in loser Reihenfolge Anekdoten aus dem Leben, Handeln und Denken von Uroma und Uropa. Dafür hat der Dresdner Schriftsteller und Journalist Heinz Kulb die Zeitungsarchive in der Sächsischen Landes- und Universtätsbibliothek durchstöbert.