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Der Königsbrücker Platz

In unserer Reihe Straßen und Plätze in der Dresdner Neustadt stellen wir heute den Königsbrücker Platz vor. Ein Gastbeitrag von Christina Wittich.

Die letzte Attraktion

Der Königsbrücker Platz hält ein Nickerchen. Orangegelb scheint die Sonne durch grünes Lindenlaub. In diesem Sommer hat es der Rasen unter den Bäumen nicht wirklich geschafft. Dreckig braun reckt er rebellisch ein paar Halme in die Luft.

Sieben Bänke gruppieren sich um eine Eiche. Zigarettenstummel im Kies.

Wie auf einem verlassenen Dorfplatz fühlt es sich an, hier zu sitzen: Gleich geht es los, gleich kommt jemand und setzt sich dazu, redet, Kaffee und Kuchen vielleicht. Und dann passiert – nichts.

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Das Leben findet in den Kneipen und Cafés seiner Peripherie statt, in den Läden, in der Sankt-Pauli-Ruine. Der Königsbrücker ist nur ein altes, müdes Herz in einem pulsierenden Viertel.

Wäre er eine Person, er wäre ein Dresdner Großvater. Mehr so der durchschnittliche Typ, verwachsen mit der Stadtgeschichte, ohne jemals eine tragende Rolle darin gespielt zu haben.

Große Geschichten hat er nicht zu erzählen. Sein früheres Gesicht, zuweilen abweisend und hässlich, hat die Gentrifizierung geschliffen und geglättet. Was klingt wie eine Krankheit, ist für die einen Fluch, den anderen ein Segen.

Billiger Wohnraum lockt erst Künstler und dann Studenten. Deren Anwesenheit macht das Viertel attraktiv. Die Studenten bekommen Kinder und bleiben, der Mittelstand entdeckt die Gegend. Gemeinsam sanieren sie, hübschen auf, schaffen Ordnung.

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Wer wegen der billigen Preise und der Kneipe am Eck dort wohnte, kann sich die steigenden Mieten bald nicht mehr leisten und mit den hippen Getränken in der Bar ums Eck nichts anfangen. Im Lauf der Jahre tauscht sich so eine ganze Bevölkerungsgruppe, tauscht sich ein Lebensgefühl aus.

So geschehen auch in der benachbarten Neustadt. Im Hecht ist der Prozess so gut wie abgeschlossen. Das AZ Conni ganz am anderen Ende des Königsbrücker Platzes, noch hinter dem Spielplatz, ist das letzte Projekt auf dem Zettel der Stadtsanierung.

AZ Conni am Königsbrücker Platz - Foto: Amac Garbe
AZ Conni am Königsbrücker Platz – Foto: Amac Garbe
So sehr es vielleicht den eigenen Werten widerspricht: Das Alternative Zentrum muss schöner werden. So verlangt es der Sanierungsplan. Als würde man einem Punk eine Schleife verpassen. Früher befand sich hier ein mehrstöckiger Kindergarten. Heute sind das Haupt- und Vorderhaus angegraut und verziert mit Graffiti und Plakaten.

„Mit der Sanierung sind wir auch Teil der Gentrifizierung“, sagt Thomas Fischer, beim AZ Conni verantwortlich für die Koordination der Arbeiten. Der 30-Jährige betont, dass seine Meinung nicht stellvertretend steht für alle Mitglieder des Zentrums. „Bekommen wir eine hübsche Fassade, wird das Viertel aufgewertet“, sagt er.

Fischer sieht nicht aus, als fühle er sich sonderlich wohl mit dem Gedanken. „In den Neunzigern konnte man mit geringem Einkommen noch ins Hecht ziehen, jetzt geht das nicht mehr“, sagt er.

Wie eine Sandbank der Glückseligen bettet sich der Königsbrücker Platz inzwischen ins Hechtviertel. Am schmalen, unteren Ende die Fichtenstraße, rechts Rudolf-Leonhard-, links Schanzenstraße.

Aus der Luft betrachtet, versucht er, sich durch einen schmalen Weg abzugrenzen vom mehr als doppelt so großen Spielplatz, der sich ausladend ins Grüne öffnet. Da oben tobt das Leben. Hier ruht es sich aus.

Im Halbschatten einer Pergola liegen zwei Obdachlose auf Bänken. Wie choreografisch abgesprochen weisen ihre Köpfe nach Osten, die Arme über der Brust gekreuzt, die Gesichter auf eine intime Art entspannt. Leises Schnarchen verlässt die halbgeöffneten Münder.

Mit ihnen zu reden bietet sich in dem Moment nicht unbedingt an. Der von der rechten Bank steht kurz auf, richtet schlaftrunken seine an der Rückseite angelehnte Krücke, schaut sich kaum um, tappert zurück und nimmt die alte Position wieder ein. Das halb ausgetrunkene Bier am Kopfende der Bank bleibt unberührt.

Büchertelefonzelle am Königsbrücker Platz - Foto: Amac Garbe
Büchertelefonzelle am Königsbrücker Platz – Foto: Amac Garbe
Die realsozialistischen Obrigkeiten hatten es nicht gut gemeint mit dem Hecht. Dabei war es einmal entstanden aus einer halbwegs guten Absicht heraus: In den Dreißigerjahren des 19. Jahrhunderts kaufte der ehemalige Dresdner Polizeidirektor Hans Ludwig von Opell einen früheren Artillerie-Übungsplatz.

Einer der Urväter heutiger Immobilienspekulanten in Dresden mag er damit gewesen sein. Mietshäuser in offener Bauweise ließ Opell errichten auf dem sandigen Boden. Das Blütenmeer zahlreicher Gärtnereien erstreckte sich rechts und links der Gebäude. In der Nachbarschaft Industrie und Handwerk.

Die Bevölkerung entwickelte sich explosionsartig in dem nach seinem Erbauer benannten Opellviertel. Arbeiter lebten hier. Dörflich sieht aus auf alten Zeichnungen, was Opell damals vorgefunden haben mag: kleine Häuschen, unbefestigte Wege, stillstehende Zeit.

Ein Ort zum Vorübergehen auf dem Weg zum Weinberg oder zum Gasthaus des Försters Hecht. Am Ende gewann der Wirt auch den Wettbewerb um die Beliebtheit. Sein Name steht heute für das Viertel und eine Straße, die dort entlangführt, wo früher die Zecher einkehrten. An Opell erinnert nur noch eine Kneipe.

Turm der St.-Pauli-Ruine - Foto: Amac Garbe
Turm der St.-Pauli-Ruine – Foto: Amac Garbe
Die Sankt-Pauli-Kirche war 1891 ein Geschenk der Stadt, als das Viertel zu blühen begann. Den Königsbrücker Platz gab es damals schon. Eine Schule war bereits 30 Jahre vor der Kirche entstanden. Ansonsten kaum Hinweise auf dessen Präsenz in den Akten des Stadtarchivs.

Erst wieder 1952. Am 26. Februar beschloss das Dezernat Aufbau „die Ausgestaltung des Trümmergeländes der früheren Schule am Königsbrücker Platz als Kinderspielplatz“. Zwei Luftangriffe hatten dort nur noch Ruinen hinterlassen.

Einer, der später am Platz wohnte, ist heute nicht mehr dort zu erreichen. Noch vor dem Fall der Mauer ist er ausgereist. Seinen Namen möchte der Mann nicht nennen, ein bisschen plaudern am Telefon schon. Heute lebt er, bereits etwas betagter, in München.

Das Haus seiner Großeltern am Königsbrücker Platz vermietet er. Er erinnert sich: „Ich hatte um die 100 Brieftauben im Hinterhof.“ Man hört einen leichten bayrischen Einschlag in der Sprache. Das Sächsische ist verflogen.

„Wenn die anderen um die Häuser gezogen sind, hab ich mir das immer erzählen lassen.“ Häufiger aber hätten sich die Kinder und Jugendlichen des Viertels sowieso auf dem Spielplatz getroffen. „Das Hecht war ne verrufene Gegend. Da war nicht viel“, sagt er. „Meistens haben wir rumgesessen und Kofferradio gehört.“ Heute mag er das Viertel seiner Kindheit lieber. Es finanziert auch seinen Lebensabend.

Junge Familien mit Kindern dominieren die Gegend. Mit der Sanierungswelle, die begonnen hat Mitte der 90er-Jahre und allmählich ihr Ende findet, ist das Arbeiterviertel Geschichte.

St.-Pauli-Apotheke - Foto: Amac Garbe
St.-Pauli-Apotheke – Foto: Amac Garbe
Noch kurz nach der Wende, sagt Ingrid Lommatzsch, haben sie und ihre Kollegen ihren älteren Kunden geholfen, Formulare auszufüllen. Dafür war sie als Apothekerin nicht unbedingt zuständig, aber was will man machen? „Die Menschen waren doch völlig überfordert mit dem System.“ Die 80-Jährige lebt nicht am Königsbrücker Platz. Hat sie nie. Ingrid Lommatzsch lebte schon immer in Blasewitz. Heute gibt sie eine elegant gekleidete Ruheständlerin ab, die man sich gut vorstellen kann als resolute Dame hinterm Apotheken- Tresen.

Durchsetzungsvermögen brauchte Lommatzsch damals. Übernommen und wieder eröffnet hatte sie die Apotheke, weil es, kurz gesagt, jemand machen musste. Mit 53 hatte sie kaum andere Perspektiven im wiedervereinigten Deutschland. Für die russischen Soldaten, die damals noch in der Nähe stationiert waren, stockte sie seltene Tees auf, die die Kameraden gern „zu ihren Babuschkas nach Hause“ schickten.

Windige Händler musste sie sich vom Hals halten. Anfangs war es schwer, zu unterscheiden, ob kleine Geschenke für ihre Kunden wirklich ihr Geld wert waren. Etwa 1000 Mark kostete sie die Erfahrung. Drogenabhängige kamen in die Apotheke, schlugen Alarm. Bäume am Straßenrand gingen ein, weil jemand sie vergiftet hatte, um eigenmächtig Parkplätze zu schaffen. Ein kleines Drama mit der Apotheke im Verdacht.

„So ein Blödsinn!“, schimpft die alte Dame heute noch. „Aber so war das damals.“ Heute betreibt ihre Tochter das Geschäft.

Zum Hechtfest - Foto: Amac Garbe
Zum Hechtfest – Foto: Amac Garbe
Direkt gegenüber vom Spielplatz befinden sich die Wildsmile Studios, deren Inhaber Andreas Ullrich ist, ein von Efeu umranktes Gebäude, das nicht einlädt und wenig preisgibt von dem, was sich hinter der Eingangstür verbirgt. Im Hinterhof befindet sich auch das C. Rockefeller Center for the Contemporary Arts des Deutschland & Friends e. V., ein Offspace und Projektraum für zeitgenössische Kunst.

Clark Rockefeller oder besser Christian Karl Gerhartsreiter ist der Namensgeber für diese Mischung aus Werkstatt, Atelier und Galerie und auch ein bisschen Schrottplatz im Hinterhof. Moderne Kunst kann alles gebrauchen. Rockefeller war ein Hochstapler, der seine Lügen perfekt verkörperte, und was ist Kunst denn anderes als eine Variante der Wahrheit? Andreas Ullrich fragt so etwas nebenbei, während er zügig die Räume seiner Druckerei durchschreitet und redet wie eine Maschine. Seine Themen reihen sich aneinander: Kapitalismus, Kunst, Gentrifizierung, Bücher, Sticker. Blonde Rastas, barfuß, Bart und legere Klamotten – der Mitvierziger gibt nicht das Bild eines klassischen Unternehmers ab.

Dabei ist der Beinahe-Anwalt und Fotokünstler unter anderem auch das. Die Bücher stimmen, erzählt er nicht wenig stolz und zeigt auf Hefter, die sich penibel aneinanderreihen in einem ansonsten unglaublich unaufgeräumten Büro. Hier bekommt das kreative Chaos ein Gesicht.

Ullrich und sein Team stellen Künstlern Raum zur Verfügung. Sie drucken graphisch anspruchsvolle Bücher und sie produzieren Aufkleber. In den Räumen steht der Geruch nach Druckfarben und Leim. Über den Daumen gepeilt stammt so ziemlich jeder Sticker an jeder Bank, an jeder Laterne, an jeder Klotür im Dresdner Raum aus Ullrichs Druckerei. Längst allerdings bezieht sich Ullrichs Wirkungsbereich nicht allein auf Dresden oder Sachsen. International arbeiten sie inzwischen.

Er hat 2004 eine Gelegenheit ergriffen. Vorher besetzten er und einige Weggefährten das Haus Rudolf-Leonhard-Straße 52 auf nicht sehr legale Weise. Der Kauf von Gebäude und Hinterhof für einen Bruchteil dessen, was es heute wert wäre, war „eine Art Selbstermächtigung. Wenn ich besitze, gibt es kaum einen Hebel, mich von dem abzuhalten, was ich daraus mache“, sagt er. „Was wir früher als Hausbesetzer praktiziert haben, praktizieren wir heute als Besitzer.“

Gekaufte Freiheit. Wenn ihm danach sei, flexe er eben auch mal am Sonntagmorgen in seinem Hof. Kunst kennt keine Zeiten. „Wir sind gewissermaßen eine kleine alternative Attraktion hier“, sagt er. Inzwischen womöglich sogar die letzte.

Der Königsbrücker Platz - Foto: Amac Garbe
Der Königsbrücker Platz – Foto: Amac Garbe

Der Königsbrücker Platz

Straßen und Plätze im Stadtbezirk Neustadt

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Dieser Text ist ein Auszug aus dem dritten Band des Buchmagazins Stadtluft Dresden von Christina Wittich. www.stadtluft-dresden.de

Christina Wittich studierte Journalistik und Psychologie, absolovierte bei der Sächsischen Zeitung das Volontariat. Sie arbeitet als freiberufliche Journalistin und Autorin in Dresden. Am liebsten schreibt sie Reportagen und Porträts unter anderem für die Sächsische Zeitung, den Tagesspiegel oder Zeit Online.

4 Kommentare

  1. Ein wundervoller Artikel, der mich zugleich wehmütig stimmt. Ich wohne nun schon 20 Jahre hier und es hat sich wirklich viel an der Atmosphäre geändert. Glattgebügelt wie das Hecht heute ist, ist zwar gefällig, aber skurril-charmant wie das Hecht vor 10-20 Jahren ist es nicht. Schade.

  2. Aber leider ganz schön verdreckt und zugemüllt dieser Platz, so wie ich das jeden Tag erleben darf…

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