Anzeige

Aldi

Adele im Weihnachtsstress

Im Narrenhäusel am Aufgang zur Augustusbrücke in Richtung der Dresdner Altstadt war an diesem Nachmittag im Dezember 1925 miese Stimmung. Erna Schwuppke, Martha Kruska und Frieda Lempke, wie auch die anderen Gäste im voll besetzten Restaurant, warteten seit nahezu einer halben Stunde auf die Hauptperson des mittlerweile stadtbekannten Damenkränzchens.

Eingang zum Dresdner Narrenhäusel von der Augustusbrücke - zeitgenössische Postkarte
Eingang zum Dresdner Narrenhäusel von der Augustusbrücke – zeitgenössische Postkarte

Alles rätselte. Sei ihr vielleicht eine Laufmasche an einem ihrer Strümpfe empor gelaufen und nun sitze sie noch im Alberttheater und niemand kann ihr ein neues Paar der Seidenen beschaffen, meinte Frieda. Die stets pessimistische Martha vermutete einen Überfall rabiater Banden mit einer Entführung, um sich vor Weihnachten noch ein Zubrot an Erpressergeld zu verdienen. Das sei großer Quatsch, meinte die vornehme Erna und dachte da eher an ein Einschlafen vor Erschöpfung auf dem heimischen Sofa wegen der vielen Auftritte in der Adventszeit.

Auch das Personal war in großer Unruhe. Solange Adele Lampel und ihre Freundinnen hier im Narrenhäusel ihr Kränzchen abhielten, kam sie zwar meistens als letzte, aber noch nie so spät. Zum vierten Mal schickte der Oberkellner Herr Franz den Lehrburschen Leo vor die Tür, um Ausschau zu halten, zumal einige Gäste sich wenig amüsiert im Wartesaal des Neustädter Bahnhofs wähnten und einige schon ihre Geldbörsen zückten, um das Haus zu verlassen.

In diesem Moment riss Leo die Tür auf und schrie ins Lokal: „Sie kommt“.

Anzeige

Semper Oberschule Dresden

Anzeige

welcome india

Anzeige

Societaetstheater

Anzeige

Schramm Möbelmanufaktur

Anzeige

Alternatives Akustikkollektiv

Anzeige



Anzeige

Blitzumzug

Anzeige

tranquillo

Anzeige

Advenster 2025

Anzeige

15. Dresdner Neujahrssingen

Anzeige

Mondmühle

Anzeige

Villandry

Adele erscheint

Ein hörbares Aufatmen durchzog das Restaurant. Beifall brandete auf. Und dann kam sie. Nein, nicht strahlend wie eine über alles erhaben Diva, sondern keuchend und schwitzend und bepackt mit mehreren Einkaufstaschen wie eine Dienstmagd. Diese ließ sie noch am Eingang zu Boden fallen. Leo wurde unsicher. Sollte er die Taschen in Empfang nehmen oder zuerst den schon im Sinkflug befindlichen Pelzmantel. Er entschied sich für Letzteres. Der herbeigeeilte Kellner Waldi bemächtigte sich der Taschen der Diva und dem Oberkellner fiel ein Stein vom Herzen.

„Ach mein lieber Herr Franz“, wimmerte Adele. „Das glaubt mir keiner. Diese Hektik in der Stadt. Dieses Gewimmel. Als würde es morgen nichts mehr zu kaufen geben. Und das alles wegen Weihnachten. Herr Franz, ich danke für den Empfang und bitte um Nachsicht für die Verspätung. Es waren nicht nur die Geschäfte voll, sondern auch Taxis waren schwer zu bekommen.“ Und dann wurde sie wieder ganz die Diva. „Ich brauche jetzt dringend meine Kreislaufmedizin. Champagner für meinen Tisch, mein Gutster. Und dann die obligatorische Eierschecke mit einem guten Kaffee.“

Ausatmend plumpste Adele auf ihren Stuhl und trank in einem Zug das Champagnerglas leer. Während Kellner Waldi nachgoss, tupfte sie den Schweiß von ihrer Stirn und wedelte sich frische Luft zu. „Ach, meine Lieben, ich verstehe nicht, warum die Leute wegen dieser drei Tage so einen Zirkus veranstalten.“

Frieda lachte auf. „Wenn ich dich anschaue und die voll bepackten Taschen sehe, dann verstehe ich deine Frage nicht. Als du hier herein kamst, sahst du aus, wie die wandelnde Hilfsfee des Weihnachtsmanns“, und verfiel in ein lautes Gegackere, welches die Gäste an den anderen Tischen ebenfalls zum Lachen animierte. Aber das bis jetzt Mitleid erheischende Gesicht der Diva wandelte sich in mehreren Stufen von blass zu tiefrot, von Ungläubigkeit über Unwillen und Erregung zu Empörung und Zorn. Im Restaurant hätte ein fallender Kaffeelöffel wie eine Alarmsirene geklungen, so still wurde es plötzlich.

Anzeige

Schramm Möbelmanufaktur

Anzeige

15. Dresdner Neujahrssingen

Anzeige

Kieferorthopädie Dr. Manuela Beltz

Anzeige

Semper Oberschule Dresden

Anzeige

Kieferorthopädie

Anzeige

Alternatives Akustikkollektiv

„Es reicht, Frieda“, rief Adele. „Ich setzte alles daran, heute pünktlich bei euch zu sein, aber die Umstände waren nicht so. Ich nutzte meinen spielfreien Tag, um die Weihnachtsgeschenke zu kaufen. Dass dir das Wurscht ist, mag ja noch gehen, Frieda. Aber mich als ‚Hilfsfee‘ zu titulieren, ist noch schlimmer als ein Buh-Ruf während der Vorstellung. Hilfsfee! Ich glaub es nicht. Mir steht mindestens der Titel ‚Fee‘ zu“, geiferte sie. Frieda hob ihre linke Augenbraue. Ein leichtes Schmunzeln umspielte ihre blutrot geschminkten Lippen. Sie kannte ihre Adele und wusste, dass sie nur schauspielerte. Dann legte sie ihre linke Hand auf Adeles rechte und tätschelte sie.

Die Charmeuse

„Ist gut meine Liebe. Trinken wir einen Eierlikör“ und rief die Bestellung dem umherschwirrenden Kellner Waldi zu. „Aber erzähle mal, was hast du denn alles in deinen Taschen?“ Aufatmen bei Martha und Erna und bei den Gästen im Lokal. Und alle warteten auf das Auspacken der gekauften Weihnachtsgeschenke.

Als erstes zog sie ein raffiniertes Kleid aus einer Tasche. ‚Ohs‘ und ‚ahs‘ durchrauschten das Restaurant. Martha fragte, ob das die neueste Frühlingsmode sei, denn für den Winter sei es so hauchdünn, dass man darin zu einem Eisblock würde. Adele grinste und erwiderte, dass es sich bei diesem Kleid um eine Charmeuse handele.

„Was für eine Möse?“, sprach Martha mit verdutztem Gesichtsausdruck und bemerkte am unterdrücktem Lachen ringsum, dass sie wohl wieder in einem Fettnäpfchen gelandet war. Frieda klärte sie auf.

„Meine Liebe, du kennst doch den Stadtrat Neuber im Rathaus dort drüben, den Chef von deinem Mann.“

„Oh ja“, antworte Martha ernsthaft. „Der ist ein Charmeur vor dem Herrn. Bei dem muss man sich als ehrbare Frau vorsehen.“

„Richtig“, erwiderte Frieda. „Und ‚Charmeuse‘ ist die weibliche Form davon. Aber auf dieses Kleid bezogen, bedeutet es ‚weich den Körper umspielen‘. Dieses Kleid ist kein Frühlingskleid, sondern ein sehr erotisch wirkendes Unterkleid aus feinster Seide. Es ist dementsprechend auch sehr teuer.“ Und zu Adele gewandt, fragte sie, ob sie dieses Kleidchen für sich gekauft habe.

Das bestätigte Adele und fügte lächelnd hinzu, dass sie an den bevorstehenden Feiertagen bei etwaig zu erwartenden Besuchen der galanten Art nicht die alten Klamotten tragen könne. Sonst kämen die Herrschaften nicht in Fahrt, was bei Martha zur Gesichtsrötung und bei Frieda zu einem Schmunzeln führte. Erna Schwuppke ließ sich in ihrer angeborenen Vornehmheit nichts anmerken, was wiederum bei Adele zu einem herzhaften Lachen führte. Ja, so liebte sie ihre Freundinnen und diese sehr unterhaltsamen Kränzchennachmittage abseits ihrer im eigenen Saft schmorenden Kollegenschar im Alberttheater.

Heiratsschwindler

„Apropos Charmeur, meine Damen“, meldete sich Erna, die vornehm tuende Hoteliersgattin von der Bautzener Straße, zu Wort. Es fiel sogar Martha auf, dass von ihr an diesem Nachmittag noch kein nennenswerter Beitrag zu vernehmen war. „Um von diesem unmoralischen Unterkleid mal wegzukommen. Ich habe neulich in der Zeitung gelesen, dass man in England den größten und charmantesten Heiratsschwindler aller Zeiten endlich vor Gericht stellen konnte.1 Der war ein wahrer Charmeur. Und das noch mit 64 Jahren.“ Das interessierte das gesamte Restaurant nebst Personal.

Dresdner Nachrichten vom 8. Dezember 2025
Dresdner Nachrichten vom 8. Dezember 2025

„Er soll mit mindestens eintausend, ich betone eintausend, Frauen Beziehungen geknüpft haben und war 11-mal verheiratet.“ Ein Raunen ging durchs Narrenhäusel. „Als er verhaftet wurde, hatte man in seiner Wohnung mehr als 5.000 Liebesbriefe gefunden.“

„Wie romantisch. Das hätte ich mir von meinem Mann gewünscht. Der hatte es nicht mal zu einem einzigen gebracht“, moserte Martha fast weinerlich, was ob ihrer Offenheit zu großem Erstaunen am Tisch führte.

„Darauf hätte ich gern verzichtet, liebe Martha“, rief erregt Erna dazwischen. „Sei froh, dass du einen Mann hast, der einer geregelten und nahezu unkündbaren Arbeit im Rathaus nachgeht. Diese armen, bedauernswerten Frauen schenkten ihm ihr Herz und was er ihnen nahm, war einzig und allein ihr Geldbeutel.“

Adele lachte auf. „Das ist der Unterschied zu mir. Meine Herrlichkeiten und zeitweiligen Lebensbegleiter bekommen von mir nicht mein Herz. Dafür öffnen sie mir ihren Geldbeutel freiwillig und in dem Wissen, dass ich sie nie heiraten würde. Als Gegenleistung komme ich ihnen zum Beispiel mit meinem neuen Charmeusekleid.“

„Also doch Möse“, entwich es spontan aus Martha, die daraufhin über sich selbst erschrak. Verschämtes Lächeln bei den Damen im Lokal und ein Gong zur Eröffnung des Kopfkinos bei den anwesenden Herren, einschließlich beim Personal und vor allem beim Lehrling Leo.

Erna erwähnte noch, dass dieser Ober-Don-Juan von England zu 10 Jahren Zuchthaus verdonnert wurde. Wenn der raus komme, hätte es sich wohl auscharmeurt. „Aber eins muss ich ihm lassen“, schmunzelte sie. „Gut gelebt hat er wenigstens.“

Die nächste Stunde begutachteten die Damen am Kränzchentisch die weiteren Einkäufe von Diva Adele. Diese berichtete über die Pelzmodenschau im Kaufhaus Renner am Altmarkt, wobei Martha bemerkte, dass sie sich solchen Schnickschnack nicht leisten könne. Gemeinsam leerten sie noch so manches Glas Champagner und Eierlikör und gingen anschließend in Wohlgefallen hinaus in den kalten vorweihnachtlichen Winterabend und leicht beschwipst in Richtung Heimat.

Anmerkung des Autors

1 Dresdner Nachrichten vom 8. Dezember 1925


Unter der Rubrik „Vor 100 Jahren“ veröffentlichen wir in loser Reihenfolge Anekdoten aus dem Leben, Handeln und Denken von Uroma und Uropa. Dafür durchstöbert der Dresdner Schriftsteller und Journalist Heinz Kulb die Zeitungsarchive in der Sächsischen Landes- und Universitätsbibliothek. Der vorliegende Text ist literarischer Natur. Grundlage bilden die recherchierten Fakten, die er mit fiktionalen Einflüssen verwebt.

Ergänzungen gern, aber bitte recht freundlich.

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert