Es ist ein kalter Dienstagabend, die Nacht ist schon hereingebrochen, doch im Hinterhof der Görlitzer Straße 35 brennt noch Licht.
Angezogen vom hellen Schein stapfen die ersten Marktschwärmer wacker üben den knirschenden Schnee. Sie kommen, um ihre Lebensmittel von der „Schwärmerei“ abzuholen. Eine Schwärmerei ist hierbei nicht unbedingt eine Romanze, schon jedoch der Ort, an dem sich Produzent*innen und Konsument*innen von Lebensmitteln näherkommen sollen.
Bauer to the people!
Das Konzept in aller Kürze: Man bestellt und bezahlt online und im Voraus seine gewünschten Produkte, diese werden geerntet, gebacken, produziert und an einem Stichtag von den regionalen Erzeuger*innen an der Verteilstation persönlich übergeben.
So auch heute. Im Hinterhof haben die Marktschwärmer Quartier bezogen. Zwar können durch die Corona-bedingten Hygienemaßnahmen deutlich weniger Erzeuger*innen als gewöhnlich vor Ort sein, jedoch halten einige wenige die Stellung.
Auf Abstand und mit Maske werden die Schwärmer entweder direkt im Hinterhof mit Käse, Fleisch und Fisch versorgt oder durch die einladende Tür des „Club Kwang Lee“ gebeten.
Das Club-Atelier dient als Kulturraum für einen Kulturbetrieb im tiefsten Winterschlaf. Da sich der Club auch generell als Freiraum für „Kultur und gute Ideen“ begreift können die Marktschwärmer – die in der Neustadt zunächst keinen geeigneten Standort für ihr Projekt fanden (wir berichteten) – den Raum für einige Stunden jeden Dienstag nutzen.
Kisten statt Konversation
Drinnen stapeln sich die auf Biertischen aufgebauten Lebensmittelkisten. Doch all das hat System, die über 200 Kisten sind fein-säuberlich nach Bestellnummer sortiert. So soll garantiert werden, dass jede*r schnell zur gewünschten Kiste kommt und die Abholung so kontaktlos wie möglich verläuft.
Dazu kommt neuerdings, dass im Hecht und der Äußeren Neustadt gegen einen geringen Aufpreis die Lieferung per Lastenrad nach Hause bestellt werden kann.
Aus Hygiene-Sicht absolut sinnig, offenbart dies doch, dass auch hier der menschliche Austausch leidet. Normalerweise wäre der Raum nicht erfüllt von Kisten, sondern Konversationen zwischen den Leuten.
Ein familiärer Abnehmerkreis
Das Angebot erstreckt sich trotz der erntetechnisch eher wenig abwechslungsreichen Winterzeit über eine breite Auswahl an Obst, Gemüse, Backwaren und sonstigen Lebensmitteln. Nicht notwendigerweise mit Bio-Siegel, jedoch immer regional und damit saisonal.
Neben dem Grundsortiment werden auch je nach Woche Feinkost, Eis, Bier, Teigtaschen, Wolle oder Nistkästen für Insekten angeboten.
Der durchschnittliche Transportweg für all das liegt bei etwa 27 Kilometer und sei damit, so versichert Gastgeberin Fanny Schiel, „regionaler als alles was die Supermärkte als regional definieren“.
Fanny selbst hat viel zu tun, zusammen mit ihrer helfenden Hand Josi ordnet sie die Lebensmittel, plaudert mit Kunden und kümmert sich um die vielen Kleinigkeiten, die eben so anfallen. Die Schwärmerei in der Neustadt feiert diesen Februar ihr zweijähriges Bestehen. Das Ganze wirkt angenehm familiär, es gibt einen stabilen Kreis von Stammkunden, man kennt sich.
Ein europaweites, regionales Netzwerk
Manchmal kommen auch Gäste, sogenannte „Gastschwärmer“, aus dem Erzgebirge, dem Vogtland, letzte Woche war ein Alpaka-Farmer aus Oberwiesenthal zu Besuch. Vernetzung und Austausch ist Fanny wichtig. Das Konzept, das seine Ursprünge in Frankreich hat und heute auch in Spanien, Italien, Belgien und der Niederlande zu Hause ist, boomt.
Allein in Deutschland hat sich zwischen 2019 und 2020 die Zahl der Schwärmereien von 50 auf 114 mehr als verdoppelt. Das Netzwerk zählt mittlerweile 15.000 regelmäßige Kunden und über 1.800 regionale Erzeuger.
Zumindest in Dresden bremst auch Corona dieses Wachstum nicht. Auf die Auswirkungen der Pandemie gefragt, sagt Fanny: „Für uns ist es nicht das schlechteste, was passieren konnte im letzten Jahr“.
Denn: In Zeiten von geschlossener Gastronomie, weniger Märkten und abgesagten Veranstaltungen hat die Verteilstation eine besondere Bedeutung gewonnen: „Für die Erzeuger ist ein sicherer Direktvermarktungsweg jetzt umso wichtiger, weil ihnen andernorts viele Standbeine weggebrochen sind“ weiß sie.
Vorteile für Verbraucher wie Erzeuger
Für diese spielt auch der flexible Rahmen eine große Rolle. Auf die Frage, wieso er hier seine Ware anböte, weist Erzeuger Felix darauf hin, dass das Fehlen einer Mindestabnahmemenge es ihm erst ermögliche ohne Druck auszuprobieren, was nachgefragt wird, und so zu wachsen. Martin, ein weiterer Erzeuger, erklärt er hätte sein Fermentier-Hobby zu einem flexiblen Nebenerwerb ausweiten können.
Auch die Kunden wirken froh um das Angebot. Einer meint „ich finde Marktschwärmer ziemlich geil, weil man da hochwertige Produkte bewusst kauft, regionale Erzeuger unterstützt und auch irgendwie ein besseres Bild von den Menschen kriegt. […] Es ist ein gutes Gefühl, sich an einem Marktschwärmer-Dienstag mit einem Freund zu treffen und Brotzeit zu machen.“
Wahrscheinlich bin ich blind, aber ich habe leider keinen Link zru Onlinebestellung im Text gefunden.
Ansonsten eine feine Sache!
Bitteschön, ein Link. Du bist nicht blind.