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Julia Hartl - SPD

Immer auf die Kleinen

Zunächst ein Hallo und ein Prost mit einem gut gezapften Bier aus meiner Stammkneipe.

Für den einen ist dieser edle Hopfenblütensaft ein willkommenes Labsal zum Feierabend, für andere ein hilfreiches Mittel zur Förderung der Geselligkeit und für Dritte ein tägliches Lebensmittel. Naja, Bier ist nicht gleich Bier. Es gibt die, salopp gesagten, tiefpreisigen Marken “Schaumgebremst” und “Edeltrüb”, unter- und obergärige Biere, Biere Pilsner Brauarten, malzige und hopfenreiche Biere, Weizenbiere und viele Arten von Mixgetränken. Das fünfhundertjährige Reinheitsgebot gilt zwar für bestimmte Sorten weiterhin, aber heute zählt allein der Kundengeschmack. Und Bier unterliegt den Überwachungen der Gesundheitsämter, sofern diese ausreichend Mitarbeiter haben.

Frisch gezapftes Bier
Frisch gezapftes Bier – Foto: engin akyurt auf Pixabay
Es war 1879 eine große Errungenschaft, als das Reichsnahrungsmittelgesetz in Kraft trat. Damit konnte die Polizei bei Händlern und Gastwirten Kontrollen durchführen. Die wissenschaftlichen Labore waren technisch soweit. Besonders ging man gegen die Panscherei bei Wein und Bier vor, einem Jahrhunderte altem Vergehen.

In Dresden kam man in einer der größten Vergnügungslokale dem Buffettier und seinen Bierausgebern auf die Schliche. Diese mischten den Maßkrügen (also der 1-Liter-Kaltschale) Gläserspülwasser bei. Daher komme wohl der Spruch: Eine Runde aus dem Spülbecken. Die Sache kam erst ans Licht der Öffentlichkeit, als ein neu eingestellter Bierausgeber noch Ehre im Leibe hatte und bei der Pantscherei nicht mitmachte. Von den anderen, die ihren Zusatzverdienst in Gefahr sahen, wurde der Neue misshandelt und mit einem Schlagring erheblich verletzt.

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Das Landgericht Leipzig erließ 1913 diesbezüglich eine bedeutsame Entscheidung in einer anderen Sache, nämlich dem ebenso betrügerischen Verschneiden der Biergläser mit sogenanntem Überlaufbier. Eine Praxis, die man hier und da leider noch heute antrifft. Achten Sie mal bei ihrem nächsten Kneipenbesuch darauf.

Aber zurück zu unserem Fall. Während der Leipziger Frühjahrsmesse wurde in einer Kneipe eine Aushilfe an der Theke angestellt. Dieser ließ das überschaumige Gerstengetränk in mehrere Gläser ein. Den überschüssigen Schaum beförderte er mit einem Holzschaber in ein weiteres Glas, damit sich das dem Schaum noch innewohnende Bier dort absetze. Nachdem sich der Schaum aufgelöst hatte, versetzte er das abgestandene Bier mit frischem. So kam halt vom Überlaufbier nichts um. Wobei der Aushilfskellner persönlich keinerlei Nutzen davon hatte, sondern der Wirt. Das beobachtete ein Polizist in Zivil und erstattete Anzeige gegen den Kellner wegen Nahrungsmittelverfälschung.

Die deutsche Justiz arbeitete gründlich und für heutige Verhältnisse recht zügig. Man bestellte einen Sachverständigen. Das war Professor Hertel, Direktor der chemischen Untersuchungsanstalt der Universität Leipzig. Er legte dar, so war in der Dresdner Volkszeitung zu lesen, dass “Überlaufbier unter allen Umständen von minderwertiger Qualität sei. Ein wichtiger Bestandteil des Bieres, die Kohlensäure, sei dem Überlaufbier nicht mehr eigen. Ferner komme hinzu, dass das Überlaufbier verunreinigt sei, wenn es über den Rand des Glases und außen an dem Glase herunterlaufe.”

Er bemängelte auch, dass Gläser vor ihrer Wiederverwendung nicht ordentlich gereinigt werden, nachdem sie leergetrunken wurden. Es “haften Unreinlichkeiten, herrührend von den Lippen und den Händen der Gäste, die in das frische Bier der verschnittenen Gläser mit hineinkommen. Aber nicht nur das Verschneiden mit dem Überlaufbier verstoße gegen die Bestimmungen des Nahrungsmittelgesetzes von 1879, § 100, sondern auch das Verbrauchen des aus dem Schaum der ersten Gläser sich setzenden Bieres, denn auch dieses Bier enthalte keine Kohlensäure mehr.”

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Das Gericht schloss sich der Denkweise des Sachverständigen an. Es lies aber mildernde Umstände gegen den angeklagten Kellner walten, da er nur eine Aushilfe und geständig war. Er wurde zu einer Geldstrafe von 5 Mark (umgerechnet heute 24,35 Euro) verurteilt. Der Wirt, der mit dem Bierpanschen Gewinn machte, wurde nicht belangt. Er hatte ja persönlich keine praktische Gesetzwidrigkeit begangen, bzw. wurde nicht erwischt. Es traf wieder einmal nur die Kleinen.

Prost, liebe Biergemeinde.

Unter der Rubrik “Vor 100 Jahren” veröffentlichen wir in loser Reihenfolge Anekdoten aus dem Leben, Handeln und Denken von Uroma und Uropa. Dafür hat der Dresdner Schriftsteller und Journalist Heinz Kulb die Zeitungsarchive in der Sächsischen Landes- und Universtätsbibliothek durchstöbert.