Eine Verbindung zu Dresden hatte Andreas Roppel schon immer, wenn auch vorerst nur geografisch in Form der Elbe. Das Holsteinische Nordlicht und heutige Neustädter Urgestein wohnte in Hamburg und betätigte sich nach der Befreiung aus einer aufgezwungenen Bäckerlehre als Sozialarbeiter beim DRK, als die Sache mit dem Sperrmüll anfing. Aus unerfindlichen Gründen bemächtigte sich 1986 das Schatzfieber Roppels und seines WG-Kollegen und beide zogen von ihrem Forsthaus los, um „Zeug“ zu sammeln. Vielleicht liegen Roppels früheste Wurzeln irgendwo im Kalifornien des Goldrauschs verbuddelt oder die Stimmen all jener weggeworfenen Gegenstände, die, nicht wirklich kaputt aber auch nicht benutzt, zwischen Diesseits und Jenseits treiben, haben ihn zu sich gerufen. Wer weiß. Auf jeden Fall sammelte sich massig „Zeug“ an. So viel, dass die zwei Goldgräber irgendwann freundschaftliche Bande zu einer lokalen Recyclingfirma schlossen, ihr „Zeug“ loswurden und dort dafür vorsortierte Klamotten erwarben.
Roppels Freizeitbeschäftigung bestand seitdem darin, bei Wind und Wetter mit Zelt und Kaffeebecher auf Hamburger Flohmärkten seine Wochenenden zu verbringen, hier und da ein Dingsbums loszuwerden und sich ganz dem jeweiligen Tag hinzugeben. Was für uns die 70er, waren für die 70er die 50er und so rissen sich die Leute um Petticoats und Jeansjacken. Auf einem dieser Flohmärkte lernte Roppel auch seine Freundin kennen und zog zu ihr nach Westberlin. Gemeinsam sollte ein Second-Hand-Laden eröffnet werden – wurde er auch, für genau einen Tag. Auf der Eröffnungsfeier gab es Rosenkrieg und Roppel zog samt Klamotten wieder aus („Man muss ja auch mal spontan sein“) und widmete sich seinem grünen Daumen. Ein Berliner Freund betrieb eine Kakteenzucht und Roppel erledigte Zuarbeiten. Als am 9. November 1989 die Mauer fiel, schlief er gerade wegen der zu harten Vornacht. Am 10. allerdings saß Roppel auf der Mauer im Freudentaumel und blinzelte gen Osten, aus dem die Trabi-Kolonnen angepufft kamen und vielleicht rief ihn ein Stimmchen, als er vier Monate später einwilligte, in Dresden Kakteen zu verkaufen.
„Wie die Blöden haben wir Kaktus verkauft“, sagt Roppel. Auf der Wallstraße, jeden Tag, wohnhaft im PKW, bis sich eine WG auf der Fichtenstraße ergab. „Aber in die Neustadt kam ich erst ’95“ und zwar mit Klamotten. In den großzügigen Räumen des heutigen „Stilbruch“ bezog Roppel Position, stellte eine Harley Davidson im Laden auf und taufte sein Lokal „Chicsaal“. Ein Jahr später folgte der schicksalhafte Besuch der Jungs vom Zentralohrgan. „Ohne die Idee hätte es mich nicht mehr lang gegeben“, sagt Roppel zum Zusammenzug auf der Alaunstraße. Allerdings entpuppte sich der Vermieter milde ausgedrückt als „born to nerve“ (auf weitere Titulierungen durch Norman Sharp und Andreas Roppel verzichtet die Autorin aus Gründen der Sitte und im Interesse der öffentlichen Ordnung) und Roppel zog 2005 auf die Böhmische Straße.
Dort wehen jetzt bei Schönwetter die Retro-Fetzen im Wind, eingefahren nach Dresden, sortiert und ausgesucht in Osnabrück. Drinnen hängen sie in Reih und Glied, vom Matrosenanzug bis zum Blümchen-Nylonkleid, feine Rauchschwaden durchziehen den Raum und künden von der Anwesenheit Roppels, der im hinteren Zimmer sein Zigarettchen pafft. Den gerade eintretenden Kunden offeriert er auf Wunsch einen über und über mit Schals behangenen Kleiderbügel aus dem Lager. Es schneit wieder. „Man muss flexibel sein“. Deswegen gibt es auch kein Telefon und Kartenbezahlgerät. Zusammen blättern wir uns durch ein großes Album, Fotoshooting im noch ganz frischen Chicsaal. Es posieren Kiezgrößen wie der Kellner vom Italiener und die beste Punkerfreundin in 70er-Klamotten. Manche von denen stromern noch durch die Neustadt, manche hat Roppel jahrelang nicht gesehen. Alles Schicksal. Man muss nur spontan und flexibel sein.
Chicsaal
- Böhmische Straße 4, 01099 Dresden
- Montag bis Freitag 11 bis 19 Uhr, Sonnabend 11 bis 16 Uhr
- Im Internet zu erreichen unter www.chicsaal-dresden.de/
:D schöner Artikel!
Der ChicSaal ist aber immer hart an der Grenze zum Altkleidercontainer. „Second Hand“ heißt für mich schon, dass man die Sachen noch tragen kann und sie halbwegs intakt sind. Ca. 25 Euro für eine Adidas-Trainingsjacke mit Brandlöchern und nur halb vorhandenem Logo, finde ich unverschämt. Über die Schuhe will ich erst gar nicht reden. Leider scheint dies aber der einzige noch vorhandene Laden dieser Art zu sein. Zentrale, Xanadu oder das Mrs. Hippie im alten Stil sind ja nun verschwunden. Leider!
das b&b gibts noch
Hmm… Kakteen – ich dachte immer Palmen ;o) wie doch die Zeit vergeht. Egal – Hauptsache Grünzeuch!
muss ich hotte hü leider recht geben.
martens ohne profil & mit ordentlichen löchern für 40eur
sind einfach nich drin. und will man verhandeln, wird man
sofort abgeblockt. mehrmals probiert, irgendwann aufgegeben.
aber für ne krawatte oder ein ausgefalleneres hemd lohnt
sichs manchma, von den preisen wiederum abgesehn.
hatte mal ne schicke gefunden, die hatte auf der rückseite
sogar nochn hakenkreuz ;)
Habe den Laden gerade besucht und er hat einen sehr guten Eindruck auf mich gemacht.
Es gibt sehr gute und auch normale Qualität zu unterschiedlichen Kursen.
Bei uns in Hamburg zahlt man gerne mal das doppelte .