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Der Doppelmord von der Talstraße (I)

In Erinnerung haften oftmals alte Geschehnisse, so die Erzählungen auf Familienfesten in der Nachkriegszeit. Das Elend der letzten Jahre sollte in Vergessenheit geraten. Obwohl alkoholische Getränke als Mangelware galten, überwanden die Menschen die Not mit selbst gebranntem Schnaps und eigener Weinherstellung. Die Leute plauderten und lachten nach getaner Arbeit, trällerten die aktuellen Schlager „Mit Musik geht alles besser“, „ Lili Marlen“, „Wochenend und Sonnenschein“.

Talstraße in der Äußeren Neustadt
Talstraße in der Äußeren Neustadt

Eine Schlagzeile aus der Nachkriegszeit hielt sich jahrelang, nämlich die Mordgeschichte der Frieda Lehmann, die eine Kollegin zerstückelt und gegessen haben soll. Die Story wurde immer wieder erzählt, mehrere Autoren schrieben über den Kriminalfall.

Ich selbst recherchierte und besuchte auf die Talstraße, dem Ort des Mordes. Inzwischen wohnten ganz andere Bewohner in den Häusern, keiner kannte die Umstände.

Was war damals im Weihnachtsmonat 1946 tatsächlich geschehen?

Der Krieg lag anderthalb Jahre zurück. Achtzig Prozent der Dresdner Innenstadt rechts und links der Elbe glich einem Trümmermeer. Der Absturz eines englischen Bombers am Albertplatz verschonte einige Teile der Neustadt, so auch die Wohnungen von Frieda Lehmann und Käthe Stiehler. Viele Frauen hatten ihre Männer im Krieg verloren oder warteten hoffnungsvoll auf deren Rückkehr aus der Gefangenschaft. Die Trümmerfrauen schafften die Steine und den Schutt beiseite, die Kriegswitwen arbeiten gegen geringes Entgelt als Verkäuferin oder Hilfskraft.

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Frieda Lehmann und Käthe Stiehler lernten sich im Dresdner Glühlampenwerk kennen und verdienten für die damaligen Verhältnisse besser als andere. Die beiden Frauen, 40 und 34 Jahre alt, wurden Freundinnen und verbrachten die Freizeit oft gemeinsam. Sie zogen gern auf den nahegelegenen Neustädter Bahnhof, denn dort blühte der Schwarzhandel und es herrschte viel Trubel an diesem Ort. Soldaten kamen und gingen, der Bahnhof strotzte voller Menschen.

Zugegen bei diesen Bahnhofsausflügen war immer der siebenjährige Sohn der Käthe Stiehler, ein zurückhaltender, lieber Junge. Er glaubte, sein Vati komme mit dem Zug zurück. Doch vor allem die Lehmann hielt Ausschau nach einem neuen Mann. Die letzte Nachricht erreichte sie noch vor Kriegsende und sie hatte die Hoffnung auf ein Wiedersehen fast aufgegeben. Der Bahnhof war bereits weihnachtlich geschmückt und Weihnachtslieder klangen an ihr Ohr.

Die Frauen unternahmen hin und wieder Ausflüge, beispielsweise in die Dresdner Nordhalle zur Weihnachtsmesse (Striezelmarkt). Sohn Heinz staunte über die Modelleisenbahnanlage. Wie die Züge durch die Tunnel ratterten und über die Berge schnieften. Mutti Stiehler kaufte dem Jungen einige Kleinigkeiten, auch einen beliebten Pflaumentoffel. Dieses kleine Männlein aus Pflaumen war zu jener Zeit deshalb so begehrt, weil es etwas Essbares war. Der Pflaumentoffelstand wurde von den Besuchern regelrecht gestürmt.

Neid kam auf

Frieda Lehmann konnte im Einkaufen nicht mithalten und auch bei den gegenseitigen Besuchen kam Neid auf. Sie staunte über den vollen Kleiderschrank und den Schmuck in den Schubfächern der Kollegin, die manches Stück gegen Brot, Eier und andere Lebensmittel verschacherte. Frieda Lehmann, schon durch Diebereien im Betrieb aufgefallen, heckte einen teuflischen Plan aus. Sie hatte für den 11. Dezember Käthe und ihren Sohn zum Tee in die Talstraße eingeladen. Ein Adventskranz schmückte den Tisch, aus dem Radio erklangen Weihnachtslieder, „Süßer die Glocken nie klingen“, “Oh Tannenbaum, oh Tannenbaum“, „Oh, du fröhliche“…

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Frieda lockte Käthe in die Küche. Dort nahm sie das vorbereitete Messer vom Küchentisch und stach unversehens in Käthes Hals. Die Freundin röchelte und konnte noch ins Wohnzimmer gehen. Dort brach sich zusammen. Nun überwältigte Frieda auch Heinz, den siebenjährigen Sohn. Auch ihn tötete sie zielgerichtet mit einem Stich in den Hals. Er stürzte, riss einen Stuhl um und war sogleich stumm.

Die Nachbarin klingelte, Frieda öffnete die Tür und sagte besänftigend: „Alles gut, alles gut!“ Hatte die Nachbarin etwas Verdächtiges bemerkt? Unbeirrt von dem Besuch fischte die Lehmann die Hausschlüssel ihrer Freundin aus der Manteltasche und begann mit der Zerstückelung, die Trennung der Beine, Hände, Zehen…; das Sortierten die Innenteile…

Die Handgriffe hatte sie in ihrer vorherigen Tätigkeit in einer Fleischerei gelernt und von dort auch ein Fleischermesser gestohlen. Diese Arbeit erforderte mehrere Stunden, so dass Frieda Lehmann danach erschöpft ins Bett fiel. Das Diebesgut wollte die Mörderin erst am nächsten Tag in Stiehlers Wohnung holen. „Ich habe sehr gut bis morgens um fünf geschlafen, dann bin ich zur Arbeit gegangen,“ sagte sie später den Ermittlern.

Unterschenkel gefunden

Eine Holzsammlerin, auf der Suche nach Verwertbaren, fand auf dem Alaunplatz in Zeitungspapier eingewickelte Pakete. Die Frau erschrak zu Tode, als sie Körperteile entdeckte. Die Frau rief Leute zur Fundstelle. Diese informierten die Polizei und machte die grausame Entdeckung, dass es sich um zwei Unterschenkel von Frauenbeinen handelte. Das Fleisch war an den Oberschenkeln abgeschnitten worden.

Haus in der Talstraße
Haus in der Talstraße

Bereits vor einem halben Jahr hatte man am Elbufer fachgerecht abgetrennte Beine gefunden. Bestand hier etwa ein Zusammenhang? Neben dem Blut auf dem Papier fiel besonders eine grüne Farbe auf. Die Mordkommission Dresden begann unverzüglich mit der Untersuchung, zunächst mit der Aufarbeitung von Vermisstenmeldungen und der Kontrolle von Wohnungen rund um den Fundort. Die Schwester der Käthe Stiehler gab an, sie und ihren Sohn seit Tagen nicht mehr gesehen und Nachbarn sagten, nichts Auffälliges bemerkt zu haben.

Ebenso emsig verliefen die Befragungen in der Arbeitsstelle, der Polizei lag eine Vermisstenanzeige der Betriebsleitung vor. Man holte über Frieda Lehmann und Käthe Stiehler Erkundigungen ein. Kollegin Lehmann feierte am 12. Dezember, also einen Tag nach dem Mord, ausgiebig auf der Betriebsfeier mit ihren Kollegen, sang, tanzte, trank – bis morgens früh um fünf Uhr. Sie staunte gegenüber ihren Kollegen über das Fernbleiben Friedas und wunderte sich über das Schweigen ihrer Freundin. Sie überwand den Verlust mit einem Besuch in der Konzertklause, ein verruchtem Lokal, sah im Filmtheater Schauburg den Film „Die Mörder sind unter uns“ mit Hildegard Knef, zerlegte Fleisch von Armen und Po. Der Mord in der Weihnachtszeit wurde Stadtgespräch. Die Polizei stand vor einem Rätsel.

Zu Weihnachten leuchteten in manchen Wohnungen die Wachskerzen an den Christbäumen. Nur wenige Leute hatten einen Baum ergattert und geschmückt. Frieda Lehmanns Weihnachtsbaum war gestohlen – so wie Kleidung und Schmuckgegenstände – aus Käthe Stiehlers Wohnung. Niemand hatte den Diebstahl bemerkt.

(Teil II)

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