Teil 3: Zum Beginn des neuen Jahrhunderts
Es waren Zeiten der Dekadenz, diese letzten Jahre vor dem großen Krieg, der 1914 die Welt in Brand setzte und als Erster Weltkrieg in die Geschichte einging. Dekadent war zumindest aus der Sicht der Opern- und Theatergänger der oberen Mittelklasse die kulturelle Situation in der ach so gerühmten europäischen Kultur- und Kunststadt. „Wir sind allmählich nervös geworden im Zeitalter des Telefons und des Automobils. Schnell muss alles gehen“, sinnierte das Dresdner Salonblatt am 13. November 1913.
Die Dresdner Nachrichten sahen das kulturelle Leben in diesen Jahren am Abgrund, „wo ein ursprünglich gesunder Geschmack beinahe hoffnungslos dem verflachenden Operettenschwall ausgeliefert ist“. Was hat das mit dem Alberttheater zu tun? Eine ganze Menge.
Veränderungen lagen in der Luft
Zunehmend machten sich in den Nullerjahren des 20. Jahrhunderts die bühnentechnischen Unzulänglichkeiten bemerkbar. Die alte Kulissenbühne war unzeitgemäß. International eroberten sich Dreh- und Schiebebühnen die Theaterwelt. Dazu kam, dass der Hof an ein neues Schauspielhaus dachte und zwar auf der Altstädter Seite, in Schlossnähe.
Nach einem bühnenreifen Intrigantenstadl mit verschiedenen Interessenten, unter anderem auch dabei der Dresdner Unternehmer Lingner, setzte sich 1909 die Gruppe um Dresdens Oberbürgermeister Dr. Beutler mit seinem Städtischen Theaterverein durch und sicherte sich den Platz am heutigen Standort des Schauspielhauses, einen Platz, den 1846 schon Richard Wagner für ein Konzerthaus als geeignet befand. Am 13. September 1913 hob sich der Vorhang an der Ostraallee zu ersten Mal.
Inzwischen gab es viele Unternehmer und gutbetuchte Bürger auf der rechten Elbseite. Die waren an einem Theater in ihrer Nähe interessiert. Dafür gründete sie die König-Albert-Theater AG. Das war ein Glücksfall für die Neustadt. Für 1,3 Millionen Mark, damals ein richtiger Batzen Geld, kaufte diese AG das marode Theater vom überglücklichen Hof. Man kleckerte nicht, sondern klotzte und nutzte die Sommertheaterpause 1913 für eine Modernisierung der heruntergewirtschafteten Spielstätte.
Die zweite Geburt
Der Altstadt musste man ein Schnippchen schlagen. Das war Tradition. Sieben Tage bevor sich König und Hofkamarilla in die Ostraallee begeben konnten, hob sich am 6. September 1913 der Vorhang im Alberttheater. Anerkennend schrieb das Salonblatt: „Es gehört Mut dazu, in der Zeit der Possenhochflut und der Kino-Überschwemmung der Muse Thalia neue Altäre zu bauen.“
Der Zuschauerraum veränderte sich in einiger Hinsicht: Der riesige, tiefhängende Kronleuchter, der 1873 seinen irrlichtenden Weg vom Herminia-Theater hierher gefunden hatte (siehe Teil 1 dieser Reihe), fand sein zeitliches Ende. Er wurde durch eine moderne flache Deckenbeleuchtung ersetzt. Das Orchester verschwand aus dem Blickfeld der Zuschauer und wurde nach unten verlegt, der Souffleurkasten hatte ausgedient. Dafür gewann man im Parkett zwei Reihen dazu.
„Die diskrete Klangwirkung (aus dem Orchestergraben) tat dem Ohre wohl“, schrieb das Salonblatt über die Premiere des Eröffnungsabends. Die Gänge zu den Rängen wurden erweitert. Man nutzte sie nun für Kunstausstellungen. Die Garderoben verbesserten sich. Das Pausenrestaurant im ersten Stock bekam zusätzliche Fenster. Die Hinterbühne erhielt einen Malersaal für die Kulissengestaltung. Auch für mehr Sicherheit wurde gesorgt. 300 automatische Feuermelder baute man ein.
Und wenn es was zu feiern gab, zumal wenn es nichts kostete, war auch die Obrigkeit zur Stelle. Nein, König und Kronprinz ließen sich nicht blicken. Dafür beehrten den Direktor René, die Schauspielerinnen und Schauspieler, die Musiker des Orchesters sowie das Buffett und die Bar vier Minister der Königlich-Sächsischen Regierung, Dresdens Oberbürgermeister Gustav Otto Beutler, der Generaldirektor des Königlichen Hoftheaters, Seine Exzellenz Graf Seebach (der nun nichts mehr im Alberttheater zu sagen hatte) sowie der Polizeipräsident Köttig. Dazu gesellte sich die Stadtprominenz.
Mit einer großen Schuldenlast und wechselnden Intendanzen kämpfte sich das Theater durch die nächsten schwierigen Jahre. Trotzdem versuchte man, einen anspruchsvollen Spielplan auf die Beine zu stellen. Übrigens machte in den ersten Tagen nach dem Neustart in Mozarts „Zauberflöte“ der spätere Star der deutschen und europäischen Opernbühnen und des UFA-Films, der Tenor Richard Tauber, seine ersten Bühnenerfahrungen. Das Salonblatt freute sich zwar über die neue frische Stimme, „aber ihm fehlt noch viel in der feinen Nuancierung und Differenzierung des gesanglichen Vortrags, …, allein das Organ ist gesund, wohl gebildet und tragfähig. Die Darstellung verriet natürlich den Anfänger. Doch es fällt ja auch auf der Bühne kein Meister vom Himmel.“
- Teil 1: „Ein Fest der Architektur und ein Hochamt der Monarchie“
- Teil 2: „Unter der Fuchtel des königlichen Hofes“
- Teil 3: „Veränderungen lagen in der Luft“
- Teil 4: Der aufhaltsame Abgesang
Der Dresdner Schriftsteller und Journalist Heinz Kulb hat die Zeitungsarchive in der Sächsischen Landes- und Universtätsbibliothek durchstöbert. In loser Folge berichten wir über wichtige geschichtliche Ereignisse in der Neustadt.