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Die Neustadt aus einer anderen Perspektive

Jeden Tag gehen wir durch die Neustadt, leben in unserem Alltagstrott und meinen die wichtigsten Ecken in der Neustadt zu kennen. Dass dem natürlich nicht so ist, lehrte am Donnerstag ein etwas anderer Stadtspaziergang. Das internationalistische Zentrum aus dem Pieschener Zentralwerk führt mit dem Projekt “Dresden postkolonial” durch die Neustadt.

Die Statue eines Clowns am Zirkusbrunnen auf dem Carolaplatz
Die Statue eines Clowns am Zirkusbrunnen auf dem Carolaplatz
Mit diesen Stadtspaziergängen wollen die Organisatoren die koloniale Vergangenheit ans Licht bringen. Sie zeigen, wie sehr sich das historisch längst Geschehene auf unsere (postkoloniale) Gegenwart auswirkt, die noch immer eine starke Grenze zwischen dem Fremden und dem Eigenen zieht.

„Wenn wir sagen, der Stadtspaziergang beginnt am Jorge-Gomondai-Platz, fragen uns oft die Leute, wo der denn sei. Das verdeutlicht, dass selbst dieser junge postkoloniale Ort am Albertplatz in Vergessenheit gerät“, sagt Hannes M., der zusammen mit Laura K. zwei Stunden durch die Innere Neustadt führen wird.

Opfer rassistischer Gewalt: Jorge Gomondai

Der Jorge-Gomondai-Platz ist gleich mehrfach Ausdruck von Rassismus. Diese Rassenlehre gewann im 18. Jahrhundert während des Kolonialismus  an Bedeutung und wurde systematisch verwendet, um Menschen biologisch zu klassifizieren, wobei die weißen Europäer an der Spitze standen. Rassistisch war auch der Überfall auf Gomondai.

Was die Meisten wissen: Jorge Gomondai wurde am 6. April 1991 Todesopfer eines fremdenfeindlichen Übergriffs (Neustadt-Geflüster vom 6. April 2016). Was jedoch weniger präsent ist: Die Polizei ging lange von einem alkoholbedingten Sturz aus und schloss rechte Gewalt aus. Erst später wurde der tatsächliche Hintergrund durch einen Aussteiger aus der rechten Szene aufgeklärt.

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Hannes und Laura sehen dabei eine Verbindung zum kürzlichen Vorfall zwischen dem Pegida-LKA- Demonstranten und dem ZDF-Team. Auch da habe die Polizei fatal reagiert.

Die koloniale Geschichte Dresdens am Carolaplatz
Die koloniale Geschichte Dresdens am Carolaplatz

Zirkus mit Völkerschau

Auf zur nächsten Station. Ein kleiner unauffälliger Brunnen mit einer Elefantenstatue am Carolaplatz. Es ist der Zirkusbrunnen. Er erinnert an das einstmalige Zirkusgebäude Sarrasani, welches 1912 eingeweiht wurde.

„Es gibt einen Stolperstein, der auf die Zerstörung im zweiten Weltkrieg aufmerksam macht. Es gibt aber keinen Stolperstein, der an das ‘Zurschaustellen’ von echten ‘Indianern’ aus Nordamerika erinnert“, erklärt Laura. „Hier wurden Menschen aus anderen Ländern wie in einem Zoo vorgeführt.“ Dieses koloniale Verständnis von Blut und Boden zeigt sich auch heute noch. Laura liest eine Pressemitteilung vom Nachfolgezirkus Sarrasani aus dem Jahr 2016 vor: „In ihren Adern fließt reines Indianer-Blut. John Edgar Moore und seine zwei Stammesgenossen sind echte Sioux.“

Exponate aus der Kolonialzeit

Wie auch wissenschaftlich solche Blut-und-Boden-Ideologien legitimiert wurden und werden, erklären Laura und Hannes an der nächsten Station: Dem Japanischen Palais.

Das Japanische Palais bewahrt Exponate aus der Kolonialzeit.
Das Japanische Palais bewahrt Exponate aus der Kolonialzeit.
Das Japanische Palais beherbergt unter anderem das Museum für „Völkerkunde“. Ein Begriff der sich durch Rassentheorien im 19. Jahrhundert manifestiert hatte. Er legitimierte den willkürlichen Raub von Besitztümern unter dem Deckmantel des Sammelns und Dokumentierens.

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„Bis heute wurde dieser koloniale Raub nicht aufgearbeitet“, sagt Hannes. Doch nicht nur den Raub an Gegenständen bemängelt er. Er verweist auf das ehemalige Tabakgebäude auf der anderen Elbseite – die Yenidze. Hier wurde der ideelle Wert einer Moschee umfunktioniert. Da fragt man sich, wie mancher aus Deutschland reagieren würde, wäre eine Kirche woanders plötzlich eine Fabrik für Suchtmittel.

Die Tabakfabrik Yendize in Form einer Glaubensstätte
Die Tabakfabrik Yendize in Form einer Glaubensstätte

Der Spaziergang endet an einem Ort, den es öffentlich noch nicht gibt. Laura und Hannes erinnern an den rassistischen Mord an der Muslima Marwa El-Sherbini 2009, bei dem auch ihr Mann durch einen Polizisten verletzt wurde, der diesen für den Täter hielt. „Wie tief unsere rassistischen Bilder noch heute ins uns stecken, zeigt dieser Fall“, so Laura.

Dieser Stadtrundgang machte deutlich, was sonst verschwiegen geblieben wäre. Wie sehr haben sich  rassistischen Bilder manifestiert? Warum werden Völkerkundemuseen noch immer nicht umbenannt? Warum lagern so viele gestohlene Exponate in unseren Museen? Warum zeigen Tabakunternehmen auf ihrer Werbung häufig „Indianer mit Federschmuck“? Verfallen wir noch immer auf das Klischeebild vom Natural Spirit?

Ein Spaziergang der anderen Art.
Ein Spaziergang der anderen Art und Weise.

Internationalistisches Zentrum

Das Internationalistische Zentrum befindet sich im Zentralwerk, Pieschen. Es will den Dialog zwischen lokalen und globalen Akteuren fördern und neue Perspektiven des Zusammenlebens aufzeigen. Stadtspaziergänge wie diese werden auch in Pieschen und in der Äußeren Neustadt durchgeführt.

Nächste Veranstaltung zum Thema (Post)-Kolonialismus

  • 27. November 2018, 19 Uhr im Hole of Fame (Königsbrücker Straße 39): No Humboldt 21! – Von intervenierenden Geschichte
  • Mehr Informationen zum Thema Dresden postkolonial: www.dresden-postkolonial.de
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2 Kommentare

  1. Zitat: “…Marwa El-Sherbini 2009, bei dem auch ihr Mann durch einen Polizisten ums Leben kam…”. Irgendwie kann ich mich so nicht an den Fall erinnern.

  2. Stimmt. Ich kann jetzt nicht beurteilen, ob Luisa das falsch aufgeschrieben hat oder das bei dem Stadtrundgang falsch erzählt wurde, auf jeden Fall habe ich es beim Korrekturlesen übersehen. Ich bitte um Entschuldigung und habe den Sachverhalt oben korrigiert. Danke für den Hinweis.

Ergänzungen gern, aber bitte recht freundlich.

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