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Ort der Begegnung: Sonntags am Bahnhofs-Lidl

Was sind heute Orte der Begegnung? Wo treffen noch alle gesellschaftlichen Schichten zusammen? Die Vermutung: Am Bahnhofs-Lidl der Neustadt, und zwar am Sonntag.

Nass und grau: der Bahnhofsvorplatz - Foto: Jonas Breitner
Nass und grau: der Bahnhofsvorplatz – Foto: Jonas Breitner

Aus den grauen Wolken fällt Nieselregen auf den Beton. Die Luft ist frisch und kalt, der Wind weht böig über den Bahnhofsvorplatz. Eine gelbe Straßenbahn rattert vorbei, daneben rauschen Autos über den nassen Asphalt. Es riecht nach Regen.

Das schöne, steinerne, Bahnhofsgebäude ist der heute recht triste Dreh-und-Angelpunkt des Schlesischen Platzes, in ihm findet auch die Lidl-Filiale ihren Unterschlupf.

Szenen vor der Lidl-Filiale

Ein älterer Herr sitzt vor der Filiale und bettelt; die meisten eilen an ihm vorbei.

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Ein junger Mann im Rollstuhl nähert sich, stützt sich nach oben, um an seinen Geldbeutel zu gelangen, das Geld fällt auf den Boden, er greift danach, hebt es auf und reicht es dem Bettelnden.

Dieser dankt, und leert einige Momente später den Münzbecher. Ein Lidl Angestellter, ebenfalls älter, Tränensäcke, graue Schläfen, tritt aus der Filliale und fordert ihn auf zu gehen. Er geht; der Angestellte zündet sich eine Zigarette an und versucht jemanden am Telefon zu erreichen.

Der Sterni-Kronkorken: Das Echo der letzten Nacht - Foto: Jonas Breitner
Der Sterni-Kronkorken: Das Echo der letzten Nacht – Foto: Jonas Breitner

In der Zwischenzeit bildet sich eine Schlange vor dem Eingang zur Filiale. Mancher schiebt einen Kinderwagen, drin sind mal ein Baby, mal gesammelte Pfandflaschen. Zwei Kinder balgen sich aus Langeweile, der Eine zieht dem Anderen einen Regenschirm über, beide lachen darüber.

Noteinkäufe statt Großeinkäufe

Ein schnaufender, dicker Mann tritt aus dem Laden, er reißt sichtlich erleichtert seine Maske ab.  Die Einkäufe werden hinausgetragen, in modischen Rucksäcken, Jutebeuteln, Papiertüten, oder schlicht unter den Arm geklemmt. Heute besonders begehrt: Waschmittel, Nudeln und Klopapier.

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Eine Schlange im Regen

Die Schlange wächst. In Schüben fällt der Regen vom Himmel; in Schüben werden die Menschen in die Filiale hineingelassen. Sneaker, Stiefel, Anzugschuhe schreiten in sozial-distanziertem Abstand hin zur Ladentür.

Es sind viele Menschen. Die meisten stehen allein. Irgendjemand hat einen Hund vor der Tür angebunden und dort zurückgelassen. Der findet das gar nicht gut. Sein Bellen schallt weit über den Vorplatz. Näher dran hört man neben dem Bellen leises Winseln.

Da sind zwei gar nicht glücklich - Foto: Jonas Breitner
Da sind zwei gar nicht glücklich – Foto: Jonas Breitner

Ein älterer Mann mit nur einem Bein sitzt am Bahnhofsgebäude. Eine Krücke lehnt links, eine rechts neben ihm. Er raucht und beobachtet die Wartenden. Und die werden immer mehr. Es stehen nun so viele Menschen an, dass sich der Rückstau bis vor den Bahnhofseingang schiebt.

Fast alle stehen im Nieselregen. Viele haben den Kragen hochgestellt, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen, Kopfhörer rein, Welt raus. Es herrscht sonntägliche Katerstimmung.

Das große Schweigen

Der Bahnhofs-Lidl ist wohl noch einer der seltenen Plätze, an dem Menschen aufeinandertreffen, die sonst nichts miteinander zu tun haben. Aber er ist weniger ein Ort der Begegnung als ein Ort der gezwungenen Anwesenheit.

Niemand ist wirklich freiwillig hier. Die einen haben irgendetwas vergessen und müssen es nun kaufen, die anderen wissen nicht, wo sie sonst hingehen sollen.

Signal an alle: Wir haben genug davon! - Foto: Jonas Breitner
Signal an alle: Wir haben genug davon! – Foto: Jonas Breitner

Zwar stehen Jogginghose, Jeans und Chino gemeinsam im Regen, viele augenscheinlich ganz verschiedene Menschen sind hier versammelt, doch wechseln sie kein Wort miteinander. Die Abwesenheit von Gesprächen bei so vielen Menschen macht das ganze gar gespenstisch. Alle warten darauf endlich in die Filliale gelassen zu werden.

Ort der Begegnung, Ort der Anwesenheit

Auf dem Werbeaufsteller vor dem Lidl prangt der Schriftzug: „Wir versorgen Deutschland“. Heute auf jeden Fall. Versorgt wird, doch es wird nicht gequatscht oder gescherzt oder gelacht in der Schlange. Es wird nur gestanden, und gewartet und sich-gefragt wie lange noch.

Halb Zwei in Deutschland - Alle brauchen irgendwas - Foto: Jonas Breitner
Halb Zwei in Deutschland – Alle brauchen irgendwas – Foto: Jonas Breitner

Wieso die Leute nicht miteinander sprechen, bleibt Mutmaßung: die Masken, der gewachsene räumliche wie gesellschaftliche Abstand, der Regen, der Zwang hier zu sein, oder schlichtweg die fehlende Lust.

Mittlerweile hat der Hund aufgehört zu bellen. Der Mann mit den Krücken raucht und schaut noch immer. Der Bettler kam nicht wieder. Der Lidl-Mitarbeiter hat niemanden erreicht. Er scheint schnell eine Nachricht in sein Telefon zu tippen, dann tritt er die halbgerauchte Zigarette aus und geht in den Laden, um sich den wartenden, schweigenden Massen zu stellen.

Der Bahnhofs-Lidl ist ein Ort der Beobachtung, vielleicht des geteilten Leids. Doch die Gesellschaft braucht Orte der Begegnung, dieser ist keiner.

3 Kommentare

  1. Ich bin eher zufällig über diesen Artikel gestoßen. Und obwohl ich kein Lesefreund bin, da mir die Konzentration dazu fehlt, hat mich dieser kurze Bericht sehr gepackt. Vielen Dank für diesen Denkanstoß.

  2. Da ich auch schon einmal teil dieser wartenden Menschen war und die Situation kenne, ließt sich dieser Text der wirklich sehr gut geschrieben ist, als wäre er meine eigene Erinnerung. Danke an den Autor, schöner Text.
    Mit freundlichen Grüßen und besten Wünschen, Carsten S.

  3. Vielen Dank für das Teilen Ihrer Beobachtung und die aufgeworfenen Gedanken. Die Eingangsfragen „Was sind heute Orte der Begegnung?“ und „Wo treffen noch alle gesellschaftlichen Schichten zusammen?“ treiben auch uns um. Unsere Wahrnehmung deckt sich mit Ihrer: es fehlt an solchen Orten. Vermutlich nicht nur in der Neustadt, sondern in ganz Dresden – zumindest ist das unser Eindruck nach dem Umzug aus der Radeberger Vorstadt in die Friedrichstadt.
    In unserer Arbeit rund um das Thema Mensch und Arbeit haben wir aber gemerkt, dass Begegnung auf Augenhöhe funktioniert und „gesellschaftliche Schichten“ überwindet, wenn der geeignete Rahmen hergestellt wird. Wir haben große Lust, diese Bedingungen über die bisherigen einzelnen Veranstaltungen hinaus zu schaffen. Unser Anliegen ist, Gelegenheiten zu schaffen, wo in der praktischen Zusammenarbeit, in Kursen, Workshops und Vorträgen, beim gemeinsamen Essen oder einfach bei einer gemeinsamen Tasse Kaffee am Rande einer Veranstaltung Begegnung auf Augenhöhe möglich ist. Dazu wollen wir noch in diesem Jahr ein gemeinnütziges Unternehmen starten.
    Gerne möchten wir Ihnen mehr über unsere Idee erzählen und bei Interesse gemeinsam daran arbeiten, wahre Begegnungsmöglichkeiten zu schaffen.
    Freundliche Grüße

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