Anzeige

Tripkid am 26. April im Puschkin Dresden

Impfpflicht: Ja oder Nein

Es ist ein seit mehr als 200 Jahren andauernder Streit. Ein diesbezüglicher Fall landete 1913 vor dem Sächsischen Oberlandesgericht. „Ein Kaufmann, ein ausgesprochener Impfgegner, ist wiederholt bestraft worden, weil er seine Kinder nicht impfen ließ“, schrieben dazu die Dresdner Neuesten Nachrichten. Gegen die Bestrafung mit für die damalige Zeit hohen Geldbeträgen wehrte sich dieser durch alle Instanzen im Königreich.

Dresdner Neueste Nachrichten von 1913
Dresdner Neueste Nachrichten von 1913

Grundlage des Prozesses war das 1874 vom Reichstag bewilligte Reichsimpfgesetz. Das verpflichtete alle Deutschen, ihre Kinder im Alter bis zu zwei Jahren einer Erstimpfung gegen Pocken zu unterziehen. Mit 12 Jahren kam dann eine Zweitimpfung hinzu. Bei Nichtbefolgung hagelte es Geld- und Haftstrafen, 50 Mark oder drei Tage Haft. Justitia war nicht zimperlich und die Staatskasse notorisch geldgierig.

Schutz der Kinder vor Pocken

Das Königreich Bayern und das Großherzogtum Hessen führten schon 1807 eine Pockenimpfpflicht ein. Die anderen deutschen Staaten setzten auf Freiwilligkeit. Die Pocken waren nach Pest und Cholera eine der widerlichsten Krankheiten, mit hoher Sterblichkeitsrate. In Folge der großen Pockenepidemien in den Jahre 1870 und 1873, es starben 181.000 Menschen, kam es zu einem Umdenken und zur Einführung der Impfpflicht im ganzen Deutschen Kaiserreich. Der eigentliche Verursacher der Pocken, das Pockenvirus, war damals noch unbekannt.

Historisches Spritzen
Historische Spritzen

1899 erließ die Sächsische Regierung eine Verordnung, nach der Personen, „bei denen eine Impfung nicht tunlich erscheint, erst nach zweimaliger Befreiung vom Impfen durch einen zuständigen Impfarzt der Impfpflicht gänzlich enthoben werden können.“ Damit reagierte man auf einige auftretenden Nebenwirkungen des Pockenimpfmittels und auf Impfgegner.

Anzeige

Filmfest Dresden

Anzeige

Blitzumzug

Anzeige

DCA Dresden Contemporary Art

Anzeige

MusicMatch 2. und 3. Mai 2024

Anzeige

tranquillo

Anzeige

Wohnungen statt Leerstand

Anzeige

Kommunalwahl-Podium am 15. Mai 2024

Anzeige

Societaetstheater

Anzeige

Zaffaran, bring Würze in dein Leben

Man konnte dann auch äußerlich (heute noch), z.B. beim öffentlichen Baden, erkennen, wer geimpft war. Jeweils zwei kleine Narben auf den Oberarmen machten das deutlich.

Ein erfolgreicher Impfstoff

Den Impfstoff entwickelte der Landarzt Edward Jenner 1796 aus dem Pustelsekret von Kuhpocken und impfte damit Kinder. Erkrankten diese nicht (und hatten, wie wir heute wissen, Antikörper gegen Pocken gebildet), entnahm er ihnen Blut und entwickelte daraus das Serum. Bei Schiffsreisen nach Amerika ab 1800 wurden zu Beginn der Überfahrt einige Kinder mit dem Pustelsekret der Kuhpocken bewusst infiziert, um während der langen Reise ein Impfmittel zu haben.

Edward Jenner. Pastell von John Raphael Smith (1800)
Edward Jenner. Pastell von John Raphael Smith (1800)

Impfgegner machen mobil

Und diese gab es von Anfang an. Einer der prominentesten war der Philosoph Immanuel Kant. Er warnte davor, dass „mit der Impfung der Kuhpocken den Menschen auch deren tierische Brutalität eingeimpft werde“. Nach 1874 bildeten sich auf der örtlichen Ebene viele „Impfzwangsgegnervereine“. Diese gaben auch eine Zeitung heraus, den Impfgegner.

Vegetarier wehrten sich gegen das Einbringen von tierischem Material in ihren Körper. Anhänger der Naturheilkunde sahen Pockenerkrankungen nur als Folge mangelhafter Hygiene an. Reinlichkeit im Haus und persönliche Sauberkeit, regelmäßiges Durchlüften der Wohnräume und vegetarische Ernährung könne Infektionen verhindern, so einer der maßgeblichen Impfgegner Peter Spohr (1828-1921), ein preußischer Offizier. Mit Kälte, Wärme, Trinken kalten Wassers, feuchten Umschlägen, Diät und frischer Luft glaubte man, auch schwere Krankheiten behandeln zu können. Zudem stellte man auch die Wirksamkeit der Impfung grundsätzlich in Frage.

Anzeige

Kieferorthopädie

Anzeige

Wohnungen statt Leerstand

Eine andere Methode war, Mütter in Furcht und Schrecken zu versetzen, indem man tausende Berichte und Fotografien von angeblichen Impfopfern sammelte und veröffentlichte. 1908 schlossen sich auch Gegner des Impfens unter der Ärzteschaft zum „Verein impfgegnerischer Ärzte“ unter Leitung des Sanitätsrates Dr. Bilfinger aus Eisenach zusammen. In einer Petition an Kaiser Wilhelm II. forderten sie die Aufhebung der Impfpflicht u.a. wegen „Gefährdung der deutschen Wehrkraft“.

Nebenwirkungen

In einigen Punkten hatten die Ärzte auch recht. Die weiterentwickelte humanisierte Kuhpockenlymphe, wie das Mittel hieß, das den infizierten Kindern entnommen wurde, barg die Gefahr der Übertragung anderer Infektionskrankheiten, wie z.B. die weit verbreitete „Lustseuche“ Syphilis. 1885 wurde diese Gewinnung des Grundstoffes aus desinfizierten Menschen (daher humanisierte Form) verboten und durch weniger gefährliche Sekrete aus Kälbern und Jungrinder ersetzt.

Recht hatten diese Ärzte auch, dass „grauenhafte Impfschädigungen“, die insbesondere durch Zustände mangelnder Hygiene, die in breiten Kreisen der Unterschichten vorhanden waren, hervorgerufen wurden.

Der bisher erfolgreichste Impfstoff

Aber der Impfstoff gegen die Pocken trat trotz Gegnerschaft seinen Siegeszug an. 1979 erklärte die WHO die Welt für pockenfrei, gut 200 Jahre nach den ersten Impfversuchen.

Paul Ehrlich, dessen Name ein zurzeit immer wieder erwähntes Bundesinstitut trägt, hat einen Impfstoff gegen die Syphilis entwickelt und gilt als Vater der Chemotherapie.

Paul Ehrlich 1915
Harris & Ewing, Paul Ehrlich 1915, als gemeinfrei gekennzeichnet, Details auf Wikimedia Commons

Impfverpflichtungen gab es zu DDR-Zeiten sowie heute noch gegen Masern und defacto gegen Röteln und Mumps. Impfpflichten bestehen zudem bei Reisen in und aus bestimmten Ländern.

Gegen den Covid-19-Virus gibt es bislang keine direkte Impfpflicht. Eine indirekte könnte durch etwaige Zugangsauflagen privater Veranstalter zum Besuch von Konzerten und Ausstellungen, bei Reisen und Gaststättenbesuchen kommen. Erste Erwägungen diesbezüglich wurden schon geäußert.

Der Prozess in Dresden

Das reichsdeutsche Impfgesetz von 1874 und die darauffolgende sächsische Verordnung bestraften also Eltern und Vormünder, die ihre Kinder oder Mündel nicht gegen Pocken impfen ließen, mit hohen Geld- und Haftstrafen.

Der oben erwähnte angeklagte Kaufmann brachte zu seiner Entlastung das Zeugnis des bekannten ärztlichen Impfgegners Dr. Bilfinger bei, „wonach die Impfung bis zum Jahr 1915 auszusetzen sei“, war in den DNN zu lesen. Das Zeugnis von diesem Doktor der Medizin wurde aber vom Oberlandesgericht nicht anerkannt.

Der Kaufmann führte zu seiner Verteidigung aus, „dass die Impfung ein ungerechtfertigter Eingriff in die Elternrechte“ sei. Dann erklärte er, dass die sächsischen Ausführungsbestimmungen von 1899 (mit den Strafmaßnahmen) zu Unrecht bestehen, da im Reichsgesetz von 1874 der Impfzwang bereits erschöpfend geregelt sei.

Der Senat des Oberlandesgerichtes lehnte den Einspruch des Kaufmanns gegen seine Bestrafung abschließend ab und führte in seiner Urteilbegründung aus, „dass überzeugte Impfgegner eigentlich nicht zu belehren seien und sich deshalb eine eingehende Urteilsbegründung erübrige. … Der Senat halte an seiner Ansicht fest, dass eine Bestrafung zulässig sei. Die Ausführungsbestimmungen (in der sächsischen Verordnung) seinen gedeckt durch das Impfgesetz selbst, wonach den Bundesstaaten die Erlassung besonderer Maßnahmen gestattet sei.“, so das Resümee der Verhandlung, dargestellt in den Dresdner Neuesten Nachrichten.

Unter der Rubrik “Vor 100 Jahren” veröffentlichen wir in loser Reihenfolge Anekdoten aus dem Leben, Handeln und Denken von Uroma und Uropa. Dafür hat der Dresdner Schriftsteller und Journalist Heinz Kulb die Zeitungsarchive in der Sächsischen Landes- und Universitätsbibliothek durchstöbert.

2 Kommentare

Kommentare sind geschlossen.